Höher, schneller, weiter?: Wenn Leistungsorientierung zum Problem wird
- e-fellows.net Redaktion
Schneller, weiter, höher – ist das Motto der Olympischen Spiele auch ein guter Leitsatz für Erfolgshungrige? Unternehmensberaterin und Coach Karoline Klanner ist skeptisch. Im Interview mit e-fellows.net verrät sie, warum Erholung für den Erfolg mindestens genauso wichtig ist wie Leistungsbereitschaft.
Frau Klanner, wann wird Leistungsbezogenheit zum Problem?
Leistungsbezogenheit an und für sich ist kein Problem: Etwas erreichen zu wollen, treibt an und motiviert. Zum Problem beziehungsweise Thema wird Leistungsbezogenheit erst, wenn die eigenen Ansprüche sich verselbstständigen, also fortbestehen oder sich sogar steigern, obwohl der Körper eindeutige Signale schickt, dass es zu viel ist.
Karoline Klanner und Steffen Gerber sind die Gründer von Frischluft-Beratung. In ihren Workshops begleiten sie Menschen und Organisationen hin zu mehr Selbstverantwortung, Selbstbestimmung und Spürsinn. Für diesen Ansatz wurde Frischluft-Beratung im BrandEins Magazin "Unternehmensberater" zu den Besten Beratern 2021 gewählt.
Woran erkenne ich, dass ich gerade an den Grenzen meiner Belastbarkeit angekommen bin?
Gerade Menschen mit sehr starker Leistungsorientierung neigen dazu, die Signale ihres Körpers lange zu ignorieren oder klein zu reden. Frühwarnzeichen wie Kopfschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten, Müdigkeit, Lustlosigkeit, Schlafprobleme oder Grübeln schieben viele Hochleister beiseite. Aber es lohnt sich, sie als echtes Signal zu verstehen.
Kann man es sich heute noch leisten, einfach abzuschalten, ohne abgehängt zu werden?
Die Idee, abgehängt zu werden, nur weil man eine Pause einlegt, beruht selbst schon auf dem Prinzip einer übersteigerten Leistungsorientierung. Aus dem Sport ist bekannt, dass Hochleistung nur erbracht werden kann, wenn auch entsprechende Erholungsphasen eingelegt werden. Fallen diese aus, nimmt die Leistungsfähigkeit sogar ab. Das gleiche Prinzip lässt sich auf die Psyche und auf Arbeitsüberlastung anwenden: Auch unser Geist braucht immer wieder Erholungsphasen. Daher ist es vielmehr so, dass Entspannung Voraussetzung für Leistungsorientierung ist.
Aber funktioniert nicht die ganze Wirtschaft nach dem Prinzip "Höher, schneller, weiter"?
Ja und nein – wir erleben beides in Unternehmen. Das ewige Weiterrennen ist durch den Wachstumsdruck an vielen Stellen tatsächlich Teil unseres Systems geworden. Es gibt aber Bewegungen und Unternehmen, die den Wachstumsdruck in Frage stellen – was uns als Coaches sehr begeistert –, aber das hat noch nicht die breite Masse erreicht.
Trotz der Wachstumserwartungen finden wir aber auch in klassischen Unternehmen und Konzernen Führungskräfte und Teams, die extrem gute Leistung bringen und den Bogen dennoch nicht überspannen. Sie setzen Grenzen, priorisieren Themen und legen viel Wert auf Wirksamkeit und nicht nur Geschwindigkeit. Andererseits gibt es natürlich auch Führungskräfte und Teams, die aus Angst davor, abgehängt zu werden, im Hamsterrad gefangen sind. Häufig stehen dann Geschwindigkeit, Quantität oder Perfektionismus vor Wirksamkeit, was der Leistung schadet. Entscheidend ist also, wie ich mit den hohen Leistungserwartungen von außen umgehe.
Was heißt das für mich persönlich?
Agiere ich aus der Angst heraus, den Anschluss zu verlieren oder nicht gut genug zu sein, stehe ich unter ziemlich großem Stress. Denn wer sagt dann, wann ich "gut genug" bin? Chefs, Kunden oder meine Kollegen werden zum Richter und ich bin ständig abhängig von dem, was andere über mich denken – oder was ich denke, das andere von mir denken. Das ist ein riesiger Stressfaktor, der sich negativ auf Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit auswirkt.
Die Alternative ist es, zur inneren Stärke und zum eigenen Kompass zu finden. Wann ist für mich eine Leistung eine gute Leistung? Wann ist sie ausreichend? Wo setze ich Grenzen gegenüber meinem Chef, Kunden oder mir selbst? Das braucht Vertrauen in die eigene Leistung – und in der Umsetzung ein bisschen Mut. Andererseits sind das aber auch, wie oben bereits angedeutet, genau die Qualitäten, für die Führungskräfte geschätzt werden: Bin ich in der Lage, meinen eigenen Führungskräften Grenzen zu setzen, dann erhalte ich meine eigene Leistungsfähigkeit und die meiner Mitarbeiter. Ein schöner Nebeneffekt ist, dass dieses Verhalten meistens auch mit Respekt von Kollegen und Führungskräften einhergeht.
Wenn ich hingegen alles ungefiltert weitergebe und vor allem "die da oben" zufrieden machen möchte, dann landet das Team im schlimmsten Fall in einem reaktiven Aktionismus und ist abhängig von der Zufriedenheit der nächsthöheren Ebene.
Wie funktioniert echte Entspannung?
Dafür gibt es keine Gebrauchsanweisung. Eine Regel wie "Einmal in der Woche gehe ich in die Sauna" kann zur Entspannung beitragen, sollte aber kein neues Dogma werden, das selbst wieder Stress auslöst.
Echte Entspannung macht sich durch eine tiefe innere Ruhe bemerkbar. Häufig entwickelt sich dann eine Offenheit für Dinge, die gar nicht leistungsbezogen sind. Das kann ein Spieleabend sein, ein Buch, gemeinsames Kochen – oder ich schaue mir einen Bienenstock an, einfach, weil er mich fasziniert, und lese dann alles Mögliche darüber. Steckt man erstmal fest im Hamsterrad, erscheint das alles sehr weit weg und unwichtig. Doch in diesen Momenten der absoluten Entspannung ist man völlig im Hier und Jetzt. Was man noch alles tun oder erreichen will, ist dann ganz weit weg.
Wie viel Entspannung ist genug, wie viel Arbeit zu viel?
Das ist eine individuelle Frage, die jeder nur selbst beantworten kann. Wenn man sich entscheidet, mehr Entspannung zuzulassen, dann ist der Tank häufig schon leer und es braucht ein bisschen Zeit, bis sich ein gesundes Mittelmaß einstellt. Aber je besser das Gespür für mich selbst wird, desto schneller und leichter weiß ich, wann ich gerade viel Leistung bringen kann, will oder muss, und was andererseits ein gutes und gesundes Maß an Entspannung ist.
Mehr Geld, mehr Erfolg, ein besserer Körper – was, wenn mir die Optimierung meines Lebens wichtiger ist als Rast für Körper und Geist?
Wenn man sich rundum wohlfühlt, dann ist alles in Ordnung und man hat wahrscheinlich schon eine gute Balance. Wenn man aber, und sei es nur irgendwo ganz tief in einem drin, das Gefühl hat, Entspannung würde doch ganz gut tun, dann will ich dafür werben, aus der Entspannung kein weiteres Dogma zu machen ("Ich muss entspannen"). Erstmal gilt es, ein bisschen Platz und Raum für das Thema Entspannung zu schaffen: beobachten, mal etwas absagen, auf Gedanken oder Anzeichen des Körpers achten, sich austauschen, am Wochenende etwas Neues tun … Das alles können erste kleine Schritte sein.
Die Welt ist voll von reichen, schönen, erfolgreichen Hochleistern, die dazu inspirieren, immer noch ein bisschen mehr aus sich rauszuholen. Wie hört man auf, sich mit ihnen zu vergleichen?
Das ist ein Prozess und passiert nicht von heute auf morgen. Eine hilfreiche Frage ist, ob ich noch neugierig auf mein Leben bin. Überrasche ich mich manchmal selbst oder freue ich mich von Herzen über etwas, hinter dem kein Leistungsantrieb stand? Das kann etwas ganz Banales sein wie ein Möbelstück zu renovieren, ein Bild zu malen oder in einen Chor zu gehen. Wichtig ist es, nach Dingen zu suchen, die Freude auslösen, auch wenn sie nie jemand mitbekommt. Übrigens stehen viele der erfolgreichen Hochleister gerade für diese Haltung: Sie haben überhaupt nicht darauf geachtet, was andere von ihnen dachten, und sind ihren eigenen Ideen nachgegangen.
Was tun gegen das schlechte Gewissen, das sich beim entspannten Nichtstun gerne einstellt?
Auch das ist ein Prozess und das schlechte Gewissen wird ein Teil davon sein. Man kann dieses Gefühl aber auch als Erfolg interpretieren, denn es bedeutet, dass man vom gewohnten Muster abweicht. Und wenn ich zunächst mit nur einem Abend pro Woche für die eigene Entspannung starte, dann ist das schlechte Gewissen wahrscheinlich nicht so groß.