Von der Großkanzlei in den Staatsdienst: "Ich habe die Entscheidung keinen Tag bereut"
- Anneke Fuchs
Dr. Sarah-Lena Hörauf hat in Großkanzleien, in den USA, Argentinien und Deutschland gearbeitet. Sie ist Richterin und an das Hessische Ministerium der Justiz und für den Rechtsstaat (HMDJ) abgeordnet. Im Interview berichtet sie von ihrer Entscheidung, in den Staatsdienst zu wechseln, und erklärt, welche Fähigkeiten man als Richter:in braucht.
Dr. Sarah-Lena Hörauf ist Richterin und an das Hessische Ministerium der Justiz und für den Rechtsstaat (HMDJ) abgeordnet. Sie ist Mutter von drei Kindern. Neben einem Magister in Neuerer und Neuester Geschichte, dessen Nebenfach ihre Leidenschaft für Jura weckte, begann sie das Studium der Rechtswissenschaft, das sie mit Staatsexamen und einem Doktor abschloss. Während der Promotion sammelte sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin Erfahrungen in Großkanzleien, später war sie im Rahmen des Referendariats am Landgericht Frankfurt in der Verwaltungsstation bei der Deutsch-Argentinischen Handelskammer in Buenos Aires sowie in der Wahlstation bei Cleary Gottlieb Stehen & Hamilton LLP in New York. Darauf folgte die Tätigkeit als Rechtsanwältin bei Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP. Seit 2014 ist sie Richterin, seit Juni 2024 ans HMDJ abgeordnet und mit der Nachwuchsgewinnung betraut. Dr. Hörauf war von 2007 bis 2011 e-fellows.net-Stipendiatin.
Wie sah Ihr Weg in die Großkanzlei aus?
Da ich in Freiburg studiert habe, war die Großkanzlei anfangs räumlich ziemlich weit weg. Zum ersten Mal in Kontakt mit Großkanzleien bin ich beim e-fellows.net-Event "Perspektive Wirtschaftskanzlei" gekommen. Aufgrund meiner USA-Affinität hat mich die amerikanische Kanzlei Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP besonders angesprochen. Dort habe ich mich nach dem Event beworben und eine Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin aufgenommen, um mir meine Promotion zu finanzieren.
Später habe ich dann als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Linklaters gearbeitet, auf die ich auch wieder durch "Perspektive Wirtschaftskanzlei" kam. Für das Referendariat hatte ich schon im Hinterkopf, dass ich gerne wieder in die USA gehen würde. Also habe ich mit meiner damaligen Kanzlei Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP gesprochen und meine Wahlstation bei ihnen in New York absolviert.
Warum haben Sie sich für die Großkanzlei entschieden?
In die Großkanzlei wollte ich vor allem wegen des internationalen Aspekts, wegen des Sprachenaspekts und auch wegen meiner Amerikaaffinität. Aber auch, weil ich diese "Welt" einfach gerne mal von innen sehen wollte, denn es kursieren ja viele Vorurteile darüber.
Wie haben Sie die Großkanzlei erlebt?
Ich hatte immer sehr nette Kollegen und habe sehr gerne als Anwältin bei Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP gearbeitet. Aber irgendwann haben mir die Arbeitszeiten dann doch ein bisschen viel abverlangt. Ich schlafe ganz gerne regelmäßig, das war hier nicht immer möglich. Aufgrund der transaktionsbezogenen Geschäfte und der Amerikabezüge waren einige lange Nächte dabei. Das war teilweise schwer planbar und das war einer der Aspekte, die mich letztlich dazu bewogen haben, mich in Richtung Justiz zu orientieren – auch mit Hinblick auf die Familienplanung.
Außerdem wollte ich wieder stärker juristisch arbeiten und etwas mit mehr Eigenverantwortung und mehr gesellschaftlicher Bedeutung machen. Das hat mir in der Großkanzlei ein bisschen gefehlt. Der Anwaltsberuf ist für den Rechtsstaat auch sehr wichtig. Wir brauchen die Anwälte als Organ der Rechtspflege. Nur hatte ich das Gefühl, dass ich persönlich langfristig im Richterberuf besser aufgehoben bin.
Entsprach der Richterberuf Ihren Erwartungen?
Ja, das würde ich schon sagen. Ich wusste, dass einiges anders sein wird: Es ist natürlich ein Unterschied, ob Sie in einem schicken Großkanzlei-Büro mit einer Jura-Kaffeemaschine sitzen oder ob Sie die Ausstattung der Justiz haben, die von Steuergeldern bezahlt wird und entsprechend nicht so hochwertig sein kann.
Aber inhaltlich hat mich genau das erwartet, was ich mir vorgestellt hatte. Ich habe an einem kleinen Amtsgericht angefangen und dort für ein Jahr gearbeitet. Dort konnte ich sehr eigenständig arbeiten, hatte aber gleichzeitig auch immer Ansprechpartner, die ich fragen konnte, wenn mir etwas unklar war.
Die erfahrenen Richter, die haben so gar nicht dem Bild von Einzelkämpfern in einer angestaubten Justiz entsprochen. Meine Kollegen hatten immer ein offenes Ohr, ich konnte immer Rücksprache halten und sie fragen: Hattest du schon mal einen ähnlichen Fall? Wie hast du damals entschieden? Auch wenn ich den Fall am Ende natürlich selbst entschieden habe.
Wem würden Sie den Richterberuf empfehlen? Welche Fähigkeiten sind dafür wichtig?
Man sollte eine gewisse Entscheidungsfreude mitbringen. Man sollte sich ehrlich fragen: Kann ich mich gut und schnell entscheiden und für die Entscheidung Verantwortung übernehmen? Oder bin ich jemand, der erstmal monatelang überlegen muss und dann auch noch mit der getroffenen Entscheidung hadert? Dann wird einem das auch im beruflichen Kontext vermutlich schwerfallen.
Ansonsten – und das wird oft vergessen – braucht man sehr viel Sozialkompetenz und Empathie. Aber auch eine gewisse Lebenserfahrung finde ich sehr wichtig. Das muss auch gar nicht über das Lebensalter sein. Ich habe sehr, sehr junge Kollegen, die das fantastisch machen. Aber es ist schön, wenn man im Studium oder auch schon in der Schulzeit, aber dann spätestens im Studium und Referendariat einfach auch über den Tellerrand hinaus schaut und Lebenserfahrung sammelt. Das können ganz unterschiedliche Erfahrungen sein: Kellnern im Biergarten, Auslandserfahrung oder ehrenamtliches Engagement. Diese Lebenserfahrung hilft einem im Richterberuf und als Staatsanwalt unheimlich.
Denn man muss ja vor Gericht mit Anwälten, mit den unterschiedlichen Parteien umgehen. Im Zivilrecht geht es in vielen Fällen ums Geld, da kann man ein bisschen nüchterner an die Sache rangehen. Im Familienrecht wiederum braucht man stärker soziale Kompetenzen. Und für das Insolvenzrecht sollte man betriebswirtschaftliche Kenntnisse mitbringen.
Wem würden Sie den Staatsdienst empfehlen?
All jenen, die gerne so juristisch arbeiten, wie sie das im Studium und im Referendariat gelernt haben. Die gerne mit zwei gegenüberstehenden Meinungen arbeiten und diese ausgleichen.
Sie sprachen bereits von den Events, über die Sie den Kontakt zu Großkanzleien fanden. Wovon haben Sie darüber hinaus mit dem e-fellows.net-Stipendium profitiert?
Vor allem vom kostenlosen Beck-Online-Zugang. Der war natürlich Gold wert. Ich habe ihn während des Studiums und während der Promotion verwendet.
Die Community habe ich auch genutzt, allerdings war ich hier eher stille Mitleserin. Heute antworte ich aber ganz gerne, wenn eine Frage gestellt wird, die sich an eine erfahrene Richterin oder einen erfahrenen Richter wendet. Insbesondere, wenn junge Jurist:innen Fragen stellen wie: Was will ich eigentlich machen? Welche Vor- und Nachteile haben die unterschiedlichen Optionen? Passt das zu mir oder passt das nicht zu mir? Das wird in der Community hoch und runter diskutiert und da gebe ich schon auch gern mal Einblicke, Denkanstöße und Tipps.
Was würden Sie angehenden Jurist:innen raten, die vor der Entscheidung stehen: Großkanzlei oder Staatsdienst?
Ich würde empfehlen, sich zu fragen: Was passt besser zu mir? Und dann auch ganz ehrlich zu sich selbst zu sein.
Außerdem ist mir wichtig, zu sagen, dass es keine Entscheidung für immer ist. Mein Weg zeigt ja auch, dass ein Wechsel möglich ist, dass das System durchlässiger ist, als man zu Beginn seiner Karriere vielleicht denkt. Es ist nicht so, dass man, wenn man in der Großkanzlei anfängt, für immer Anwalt sein muss. Man hat da durchaus viele Möglichkeiten.