Investieren: Drei junge Investoren stellen ihre Depots vor
- Benjamin Ansari

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Gerade Jüngere suchen den Kick bei der Geldanlage. Hier verraten drei von ihnen, wieso sie ETFs stören, was sie sich von Einzelaktien erhoffen – und ob die Strategie aufgeht.

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Die meisten Privatanleger schlagen den Markt nicht – und doch probieren es immer mehr von ihnen. Wie passt das zusammen? Wer aktiv Aktien auswählt, statt stumpf in breit diversifizierte börsengehandelte passive Indexfonds (ETFs) zu investieren, erzielt meist niedrigere Renditen als der Vergleichsindex. Auch daher raten Finfluencer, Verbraucherschützer und Ökonomen allerorten beim Investieren klar zu ETFs.
Doch nun zeigt eine exklusive Auswertung der Depots von 330.000 Nutzern der Portfolio-Tracker-Plattform Getquin: Gerade junge Nutzer setzen stärker auf Einzelaktien als auf ETFs. Denn die Getquin-Nutzer (im Schnitt sind sie zwischen 20 und 35 Jahre alt und zu drei Vierteln Männer) haben im Schnitt 55 Prozent ihres Kapitals in Einzelaktien investiert – in ETFs dagegen nur 37 Prozent.
Viele der analysierten Anleger halten laut Getquin-Gründer Raphael Steil Hunderte Einzelaktien im Depot. Besonders beliebt seien: US-Tech-Unternehmen wie Nvidia, Apple und Microsoft sowie deutsche Firmen wie SAP, Allianz und BASF.
Besonders spannend: In kleinen Depots – die meist jüngeren Anlegern mit weniger Vermögen gehören – stecken die meisten Einzelaktien. Während Depots unter 3.000 Euro im Schnitt mit mehr als 72 Prozent in Einzeltitel investiert sind, sind es bei jenen darüber nur noch etwa 55 Prozent. Am diversifiziertesten sind die größten Depots mit mehr als 100.000 Euro investiertem Vermögen.
Dabei gilt eigentlich als Konsens, dass steigende Diversifikation via breit gestreuter ETFs das Rendite-Risiko-Verhältnis stark verbessert. Und der Versuch, mit Stock-Picking, also der Selektion von Einzeltiteln den Markt zu schlagen, eben für den größten Teil der Anlegerinnen und Anleger nicht klappt.
"Einzelaktien zu kaufen, ist eine denkbar schlechte Wette", warnt etwa Niels Nauhauser, Kapitalmarktexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. "Eine unnötig riskante Strategie", sagt auch Ökonom Andreas Hackethal von der Goethe-Universität in Frankfurt. Für eine Einzelaktienstrategie gebe es schlicht keine rationalen Gründe: Wer versucht, mit bestimmten Strategien den Markt zu schlagen, lasse pro Jahr im Schnitt etwa drei Prozent Rendite liegen.
Wieso probieren das viele gerade jüngere Investoren dann dennoch? Was erhoffen sie sich davon? Und: Hat diese Strategie Erfolg? Das Handelsblatt hat bei drei Anlegern nachgefragt.
Martin Kunzmann (22), Düsseldorf
- Job: Student (Lehramt im Master)
- Depotgröße: 25.000 Euro
- Einzelaktienanteil: 40 Prozent (10.000 Euro)
- Anzahl Einzelaktien: 3
- Rendite: 7,2 Prozent p. a.
"Als ich mit 18 Jahren ein Depot bei einem Neobroker eröffnete, setzte ich erst nur auf Einzelaktien. Ich wollte große Profite, am liebsten sofort, nahm dafür auch ein höheres Risiko in Kauf. Etwa 3.500 Euro investierte ich in Apple, 1.500 Euro in Amazon. Ich hoffte, mit den US-Tech-Konzernen den Markt deutlich zu schlagen. Eigentlich eine gute Idee.
Leider musste ich Lehrgeld zahlen, weil ich meine Apple-Anteile nach kleineren Rücksetzern zu früh, bei "nur" 30 Prozent Kursanstieg, verkaufte – und sie dann später zu einem höheren Preis noch mal neu kaufte. Da wäre mehr drin gewesen! Denn Gewinne soll man bekanntlich laufen lassen und Verluste begrenzen. Leider machen es die meisten Anleger anfangs andersherum.
Ich informierte mich vor allem über Youtube-Videos von Finfluencern. Auf Anraten eines kleineren Finfluencers kaufte ich 2021 vier chinesische Aktien. Bei drei der Unternehmen kannte ich nicht mal das Geschäftsmodell. Trotzdem investierte ich. Im Nachhinein finde ich das verrückt. Anfangs liefen die Aktien noch gut – dann kam der China-Crash.
Einen kleineren Betrag investierte ich in die US-Kinokette AMC. Die war 2021 wie Gamestop ein sogenannter Meme-Stock. Privatanleger heizten sich in sozialen Netzwerken und Börsenforen gegenseitig an, AMC zu kaufen und so einen Short-Squeeze zu provozieren. So stieg der Kurs in kurzer Zeit um mehr als 100 Prozent, nur um dann wieder stark zu fallen. Das war mir zu viel Stress. Ich wollte nicht mehr ständig fürchten, dass mein Geld jeden Tag ganz weg sein könnte.
Daher habe ich seitdem viel in ETFs umgeschichtet. Je größer mein Depot wurde, desto mehr stieg der ETF-Anteil. Heute verfolge ich eine Core-Satellite-Strategie: eine Basisinvestition für die langfristige, sichere Rendite plus drei Einzelaktien mit höherem Renditepotenzial.
60 Prozent meines Depots bestehen aus dem sehr breit diversifizierten "Vanguard FTSE All-World-ETF", der in mehr als 3.600 Aktien aus Industrie- (zu 90 Prozent) und Schwellenländern (zu 10 Prozent) investiert. Monatlich fließen dort per ETF-Sparplan 650 Euro hinein, sodass der Anteil weiter wächst.
40 Prozent stecken in drei Einzelaktien: Apple, Amazon, Xiaomi. Die will ich langfristig halten, Buy and hold, als Renditebooster. Von meiner reinen Einzelaktienstrategie bin ich abgekommen. Es gibt ja diese Experimente von Schimpansen, die blind auf eine Dartscheibe werfen und dabei bei der Rendite die besten Hedgefonds-Manager outperformen. Die meisten schlagen den Markt eben nicht.
Entspannter ist das auch. Früher schaute ich ständig ins Depot, checkte Kurse, sammelte Infos – heute teils monatelang nicht. Und ich investiere nur noch in Firmen, bei denen ich das Geschäftsmodell verstehe. Auch Einzelaktien sind für mich sinnvolle Beimischung – nicht mehr die Basis.
Mein Ziel ist die Million im Depot mit 50 Jahren. Als Lehrer in spe sollte ich später bis zu etwa 4.000 Euro netto verdienen, davon will ich die Hälfte investieren. Rechnet man mit jährlich sieben Prozent Rendite, die ETFs bei einem langfristigen Anlagehorizont im Schnitt abwerfen, könnte das klappen."
(Name geändert)
Tobias Nave (22), Kaltenkirchen
- Job: Working Capital Manager bei einer Medizintechnikfirma
- Depotgröße: 85.000 Euro
- Einzelaktienanteil: 70 Prozent (60.000 Euro)
- Anzahl Einzelaktien: 31
- Rendite: 8,5 Prozent p. a.
"Dass ich mal so viele Einzelaktien im Depot haben würde, hätte ich selbst nicht gedacht. Klar, ich habe schon mit meinen Eltern viel über Geld gesprochen und mit 14 Jahren mein erstes Juniordepot eröffnet. Aber 31 Titel? Im Laufe der Jahre sind es schlicht immer mehr geworden. Viel mehr Einzeltitel kann man auch gar nicht mehr seriös abbilden.
Schon jetzt verbringe ich jede Woche etwa drei Stunden mit der Depotpflege, während der Coronazeit war das gar eher täglicher Zeitaufwand. Immer samstags blicke ich auf Kurse und Markttrends, stöbere durch Investor-Relations-Portale und Analystenreports. Das ist echt aufwendig – doch bringt viel Freude. Investieren ist meine Leidenschaft, Börse mein Hobby.
Ich bin Value-Investor, blicke auf fundamentale Kennzahlen wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) oder den Free Cashflow (FCF) einer Firma, um so unterbewertete Unternehmen mit soliden Geschäftsmodellen ausfindig zu machen.
Denn wer in einzelne Firmen investiert statt in den breiten Markt etwa mit einem Welt-ETF, geht ein höheres Risiko ein. Das sollte dann auch prämiert werden, indem die Renditeerwartung höher ist als die des Gesamtmarktes. Nur bei einem solchen guten Chancen-Risiko-Verhältnis investiere ich dann auch.
Trotzdem verbrennt man sich dabei auch mal die Pfoten. Mein größter Verlust war Wirecard mit mehr als 55 Prozent Minus. Ich kann mich noch genau an den Tag des Absturzes im Juni 2020 erinnern, als rauskam, dass der Firma 1,9 Milliarden Euro fehlen. Mein noch junges Investor-Dasein hat das sehr geprägt. Aber aus Fehlern lernt man ja auch.
Heute kaufe ich nur Aktien von Firmen mit Geschäftsmodellen, die ich verstehe; aus Branchen, die ich spannend und nachvollziehbar finde. Vor jedem Kauf frage ich mich: Womit korreliert die Umsatzentwicklung des Unternehmens? Welche Wachstumsaussichten hat es? Wie nachhaltig ist seine Ertragskraft? Und bei Dividendentiteln: Wie hoch ist die Ausschüttungsquote?
Meine größte Position ist der Baustoffkonzern Heidelberg Cement mit fast fünf Prozent Gewichtung in meinem Portfolio. Ich besitze auch wenige Big-Tech-Titel wie Alphabet, Amazon und Meta sowie deutsche Small Caps wie den Blockheizkraftwerkanbieter 2G Energy.
Mehr als etwa 30 Werte sollen es auf keinen Fall werden. Gar nicht so einfach, weil es viel leichter fällt, Aktien zu kaufen, als sie zu verkaufen. Denn gute Unternehmen findet man immer – doch wann ist der rechte Zeitpunkt, Depotleichen ganz abzuschreiben?
Bislang erzielte ich 8,5 Prozent Rendite pro Jahr, doch richtig zufrieden bin ich damit nicht. Langfristig soll die Performance zweistellig werden. Überrendite ist mein Anspruch. Was nicht leicht ist, denn dazu muss ich aber noch besser werden als Investor.
Und ich noch mehr darüber lernen, wie bestimmte Geschäftsmodelle und Strategien funktionieren. Das Tolle als aktiver Investor ist ja, dass man ständig Neues lernt und ich auch in meinem Beruf sehr von diesem Wissen profitiert."
Maximilian Tiel (24), Regensburg
- Job: Wirtschaftsprüfungsassistent
- Depotgröße: Mittlerer fünfstelliger Betrag
- Einzelaktienanteil: 100 Prozent
- Anzahl Einzelaktien: 20
- Rendite: 4,8 Prozent p. a.
"Im BWL-Studium an der Uni Regensburg lernten wir, dass man den Markt auf risikoangepasster Basis nicht systematisch schlagen kann – ich traue es mir dennoch zu. Indem ich aktiv in Einzelaktien investiere, trage ich mehr Risiko und erhoffe mir dadurch auch mehr Rendite.
Gleichzeitig lernt man als aktiver Investor so viel über Welt, Wirtschaft, Rohstoffe und die großen Zusammenhänge. Argentinische Agrarfirmen, chilenische Kupferproduzenten – es ist Wahnsinn, wovon man alles Aktien kaufen kann. Das will ich nicht missen. Nur mit dem hohen zeitlichen Aufwand kann man das nicht gegenrechnen.
Etwa fünf Stunden pro Woche widme ich meinem Depot, lese Berichte über Märkte und Rohstoffe, sichte in Unternehmenspräsentationen und auf Finanz-Blogs wie Seeking Alpha Firmenkennzahlen und Fundamentaldaten. Als Teil des Vorstands im Investmentclub Regensburg spreche ich viel mit anderen Studenten über die Börse als meine Passion.
Damit fing es schon früh an. Mit 17 Jahren kaufte ich meine erste Aktie, las Gerd Kommers bekanntes Buch "Souverän investieren mit Indexfonds und ETFs". Damals richtete ich mich sehr nach Kommers Strategie des Weltportfolios und besparte mehrere ETFs, um die Weltregionen nach BIP-gewichtet abzudecken.
Doch im Laufe der Jahre änderte sich meine Strategie. Ich kaufte immer mehr Einzelaktien, verkaufte dafür ETFs und investierte schließlich nur noch aktiv. Es war kein abrupter, mehr ein allmählicher Strategiewechsel.
Als großer Fan von Warren Buffett leitet mich beim Investieren sein Satz: "It’s far better to buy a wonderful company at a fair price than a fair company at a wonderful price." Als Value-Investor suche ich nach genau solchen Firmen. Daher sind die größten Positionen in meinem Depot auch Warren Buffetts Holding Berkshire Hathaway sowie die japanische Holding Itochu Corp. Dazu halte ich einige defensivere Blue Chips wie Siemens, die Munich Re oder Visa. Sowie eine Reihe spekulativerer Small Caps wie die Nischen-Immobilienfirma Deutsche Fachmarkt AG oder den US-Market-Maker Virtu Financial. Im Depot habe ich 20 Titel, künftig will ich noch mehr solcher Small Caps als Renditebooster kaufen.
Meine eine große Jugendsünde als Anleger waren russische Aktien. Anfang 2022 bestand ein Fünftel meines Depots aus Werten wie Gazprom, Rusal und Uralkali. Kurz bevor der Angriffskrieg begann, als die russischen Panzer schon an der Grenze zur Ukraine standen, konnte ich zum Glück noch alles verkaufen. Da wäre mir meine hohe Risikobereitschaft fast zum Verhängnis geworden.
Mein Anlagehorizont als Junginvestor ist sehr lang. Ich rechne mit 40 Jahren bis zur Rente, daher kann ich auch mehr Risiken eingehen als jemand kurz vorm Renteneintritt. Und so versuchen, das meiste aus meinem Geld herauszuholen. Werte wie Berkshire Hathaway liefen über Jahrzehnte besser als der Markt, wieso sollte sich das ändern? Ich kaufe ja nur Firmen, von denen ich fundamental überzeugt bin und die ich langfristig halten will.
Fragen mich meine Freunde nach Tipps, rate ich dennoch einfach zu ETFs. Schließlich wollen die allerwenigsten Leute so viel Zeit und Muße in ihre Geldanlage investieren wie ich."
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