Investieren: So erreichen Sie dank passivem Einkommen finanzielle Freiheit

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Benjamin Ansari
Ein Kopf einer Statue hält mehrere Geldscheine in der Hand [© Марина Демешко – stock.adobe.com]

Was lässt sich von Menschen lernen, die finanziell frei sind? Hier zeigen drei von ihnen, wie man geschickt Vermögen aufbaut – und geben detaillierte Einblicke in ihre Depots.

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Als Helmut Jonen 52 Jahre alt wurde, warf er seinen Job hin und lebte fortan von Dividenden. Das muss man erklären, und das geht so: Damals arbeitete Jonen als Banker bei der UBS in Zürich und verdiente ohne Bonus 200.000 Schweizer Franken pro Jahr. Das war nicht immer so, der gebürtige Rheinländer hatte sich hochgearbeitet zu diesem Gehalt. Nach dem Abitur hatte er erst die Ausbildung zum Steuerfachgehilfen gemacht, danach für knapp 34.000 D-Mark pro Jahr bei einer Steuerberater- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Bonn angefangen. 1982, mit 22 Jahren, besaß er lediglich ein Sparbuch mit 20.000 D-Mark, das ihm sein Vater geschenkt hatte.

Da fasste er gemeinsam mit seiner Frau den Plan, mit Mitte 50 in die vorzeitige Rente gehen zu wollen. Die beiden schworen sich, fortan mindestens zehn Prozent ihrer beiden Bruttoeinkommen zurückzulegen und zu investieren. Eine sonderlich hohe Sparquote ist das nicht. Doch über den langen Zeitraum läpperte sich das ganz schön. Heute ist Jonen 64 Jahre alt, sein Depot schwankt im Wert zwischen fünf und zehn Millionen Euro. Je nach Börsenlage. Jährlich verdient er dazu etwa 325.000 Euro an Dividenden, mehr als noch zu seiner Zeit als Banker. Jonen ist finanziell frei. Wie genau hat er das geschafft? Und was lässt sich daraus lernen?

Viele träumen davon, irgendwann einmal so unabhängig wie Jonen zu sein. Das eigene Leben dank eines regelmäßigen passiven Einkommens aus eigener Tasche bestreiten zu können. Wenn Kapitaleinkünfte wie Dividenden, Zinsen oder Mieteinahmen so hoch sind, dass sich davon leben lässt, wird Arbeiten optional. Die Anhänger der sogenannten FIRE-Bewegung wollen genau das. Das Kürzel steht für "Financial Independence, Retire Early", übersetzt "frühe Rente durch finanzielle Unabhängigkeit". Der Trend kommt aus den USA, der bekannteste Vertreter ist Finanzblogger Pete Adeney alias "Mr. Money Mustache". Der Kanadier war Softwareingenieur bei Cisco, kündigte mit 30 Jahren seinen Job und ging in den Ruhestand. Geschafft hat er das dank seines ultrasparsamen Lebensstils sowie kluger Investments in Indexfonds.

Auch in Europa hat die FIRE-Bewegung immer mehr Anhänger. Sie treffen sich in Internetforen, Facebook-Gruppen und Stammtischen. Es sind junge Menschen mit gut dotierten Jobs, wie Adeney oft Softwareentwickler, die früh viel Geld verdienen, aber wenig ausgeben. Die sparsam leben und das Gros ihres Einkommens in Mietwohnungen oder ETFs stecken, um möglichst früh ganz viel Vermögen aufzubauen.

Einer der Köpfe der deutschen Bewegung ist Florian Wagner, 37. Wagner ist – natürlich – gebürtiger Schwabe. Er lebt also besonders sparsam und schränkt Konsumausgaben und Lebensstil bewusst ein. Sein Buch "Rente mit 40" ist zum Standardwerk der deutschen Szene avanciert. Dass das mal so kommen würde, war lange nicht klar. Denn eigentlich wählte Wagner den klassischen Weg durch das Hamsterrad. Nach dem Studium zum Wirtschaftsingenieur fängt er 2014 als Projektleiter bei einem Automobilzulieferer in Stuttgart an. Im ersten Jahr verdient er 48.000 Euro, bis 2018 wird sein Gehalt auf 72.000 ansteigen. Gute Aussichten, könnte man meinen.

Doch wie so viele Berufseinsteiger verfällt auch Wagner der sogenannten Lifestyle-Inflation: Mit jeder Gehaltserhöhung gibt er auch mehr aus. Zeitweise geht er fünfmal pro Woche ins teure Restaurant. "Mein Leben wurde dadurch aber gar nicht besser", sagt er heute. Eines Tages stößt er online auf Blogs der FIRE-Bewegung, liest da von Menschen, die ihr Leben und ihre Freizeit bewusst und selbstbestimmt gestalten. Die nicht mehr für Geld arbeiten müssen. Die frei sind, das zu tun, was sie wollen.

Zeitautonomie statt Besitz

Wagner wird klar: Das will er auch. "Die Freiheit, meinen Tag ganz frei zu gestalten, ist der größte Luxus überhaupt", sagt er. "Nicht etwa drei Jachten oder ein Privatjet." Materielles habe ihn nie sonderlich glücklich gemacht. Nicht mehr Besitz, sondern Zeitautonomie bringe echt langfristige Zufriedenheit. Daher kündigt Wagner 2018 seinen Job und macht sich selbstständig. Seitdem verdient er sein Geld mit seinem Blog ("geldschnurrbart.de", eine Anspielung auf "Mr. Money Mustache"), diversen Websites und Affiliate-Links sowie der Beratung von Unternehmen bei der Webseitenoptimierung.

Monatlich kämen so etwa 6000 Euro netto zusammen. 77 Prozent davon investiere er gleich wieder, die exorbitant hohe Sparquote sei "der größte Hebel". Denn da er mit seiner Freundin in Stuttgart in einer Zweizimmerwohnung auf lediglich 55 Quadratmetern wohnt und einen elf Jahre alten Seat Leon fährt, gebe er monatlich eh nur etwa 1.500 Euro aus. Sein Konsumverhalten hat Wagner stark verändert – das Gefühl von Verzicht oder Einschränkung hat er indes nicht. "Es geht ja nicht ums Sparen um jeden Preis, sondern darum, ein möglichst erfülltes Leben zu führen." Der größte Geldfresser seien keine Alltagskosten, sondern negative Gewohnheiten und Laster. Er selbst gönne sich genug, wandert in der Schweiz oder überquert die Alpen per Fahrrad, doch überprüfe eben bei jedem Kauf bewusst, ob der ihm auch wirklich diene. Diese mentale Bremse hätten viele nicht.

Für sein Buch interviewte Wagner 2019 14 finanziell freie Menschen aus Deutschland und Österreich; Angestellte, Selbstständige, Singles, Familien, Großstädter, Landeier. Dabei lernte er eines: "Wer finanziell frei werden will, muss es wirklich wollen." Wagners Vermögen ist mittlerweile nach eigenen Angaben auf fast 500.000 Euro angewachsen. Gestartet 2014 mit 13.000 Euro, seien die ersten 100.000 Euro die schwierigsten gewesen. Vier Jahre habe er dafür gebraucht. Danach mache der Zinseszinseffekt vieles leichter. Heute investiert Wagner in ETFs, Einzelaktien – und fast ein Drittel in Kryptowährungen, da vor allem in Bitcoin.

Während des Handelsblatt-Interviews checkt er die Kurse, sein Kryptodepot schwankt um 160.000 Euro. Seit der Zulassung der Bitcoin-ETFs in den USA Anfang Januar habe er seine Positionen noch mal deutlich aufgestockt. Er sagt: "Das ist weniger riskant, als dass ich mich nur noch auf den Euro verlasse und zusehe, wie die Inflation mein Vermögen frisst." Schließlich sollte das auch bis zu seinem Lebensende reichen. Dafür richtet sich Wagner nach der Vier-Prozent-Regel, einer unter FIRE-Jüngern beliebten Faustformel. Demnach kann von seinem Ersparten leben, wer pro Jahr vier Prozent davon ausgeben kann. Als Anfangsvermögen braucht es also das 25-Fache der jährlichen Ausgaben.

Bei Wagner wären das in der Theorie gerade mal 450.000 Euro. Finanziell frei sei er mit seinen Depots also schon, sagt er, doch wenn Kinder anständen oder der Lebensstandard steige, werde es rasch knapp. Sein nächstes Ziel ist daher ganz klar: die erste Million. Dafür sollen Bitcoin den Rendite-Turbo zünden. Ob das eine gute Idee ist? Für die meisten Privatanleger dürfte dieser Weg viel zu spekulativ sein. Dabei scheuen auch andere Finanzblogger auf dem Weg zur finanziellen Freiheit nicht vor hochvolatilen Anlageklassen und riskanten Strategien zurück. Etwa Manuel Streifeneder alias "DerFinanznomade". Schon mit 33 Jahren sei er mit einem Vermögen von 392.000 Euro finanziell frei. Wie er das geschafft habe? Als Frugalist behielt der Elektroingenieur seit seinem Berufseinstieg bei einem Sonderanlagenbauer 2015 einen sparsamen Lebensstil bei. Und investierte im Schnitt knapp 67 Prozent der monatlichen Einnahmen.

Sein Rendite-Turbo sei dabei nicht etwa Bitcoin gewesen, sondern Optionen. "Das war für mich der Durchbruch", sagte Streifeneder dem Handelsblatt 2023. Als Stillhalter von Put- und Call-Optionen auf Aktien (die sogenannte Wheel-Strategie) habe er jährliche Renditen von zehn bis 30 Prozent erzielen können, sodass sein Vermögen stark wachsen und er 2023 seinen Job kündigen konnte. Von Dividendenaktien und ETFs hält Streifeneder dagegen Abstand: Damit "kommt man auf maximal vier bis fünf Prozent Rendite im Jahr". Renditetechnisch seien das "zwei komplett unterschiedliche Welten". Anders als bei einer rein passiven Strategie wie bei ETFs müsse er sich damit aber schon zwei bis drei Stunden pro Woche beschäftigen.

Für Streifeneder mag eine solche riskante Strategie, die mit der Aussicht auf weit überdurchschnittliche Renditen winkt, gleichzeitig das Risiko auf massive Verluste birgt, funktioniert haben – für die meisten Privatanleger sollte sie indes absolut gar keine Option (wortwörtlich!) sein. Denn jeder BWLer wird nach einem Modul Portfoliotheorie an der Uni wissen, dass Überrendite stets Kompensation für eingegangenes Risiko ist; und Optionen ein Risiko bergen, welches die meisten Anleger nicht zu tragen bereit sind. Wer sein Geld dagegen wie von Verbraucherschützern empfohlen gut diversifiziert in Welt-ETFs anlegt, kann langfristig im Schnitt mit Jahresrenditen von etwa fünf bis sieben Prozent rechnen. Begrenzt dafür sein Risiko und wählt den mitunter längeren, aber nachhaltigen Weg zur finanziellen Freiheit.

Wie Ex-Banker Helmut Jonen, der nun schon seit zwölf Jahren als Privatier lebt. Gerade sitzt der 64-Jährige aber erst mal in seinem Arbeitszimmer in Bonn und liest wie jeden Morgen seine zwei Lieblingszeitungen, das Handelsblatt und die "Financial Times". Er sagt: "Mehr braucht man nicht, um informiert zu sein." Zwei Stunden täglich schaut Jonen auf Weltlage, Märkte, Kurse und Charts und betreibt Depotpflege. Er verfolgt eine Value- und eine Dividendenstrategie. Bei der Aktienauswahl achtet er vor allem auf die Bewertung und sucht nach unterbewerteten Firmen. Sein Depot, fünf bis zehn Millionen Euro wert, 325.000 Euro jährliche Dividenden, besteht aus 104 Titeln. Fünf Dividenden-ETFs, passive Fonds also, die Dividenden-Indizes abbilden. Und 99 Einzelaktien. Darunter viele Versicherer, Versorger und Konsumgüterhersteller, Konzerne wie Procter & Gamble, Johnson & Johnson oder Pepsico, die dank solider Bilanzen und eines recht konjunkturunabhängigen Geschäfts auch in schwächeren Marktzyklen nachhaltige und stabile Dividenden ausschütten. "Einige dieser sogenannten Dividendenaristokraten haben seit 25 Jahren kontinuierlich ihre Dividende erhöht, andere -könige sogar seit 50 Jahren", sagt Jonen.

Der Begriff der Aristokraten stamme aus den USA, aber auch deutsche Unternehmen wie die Munich Re hätten ihre Dividende seit 1979 zumindest nie gesenkt. In solche Firmen investiere er am liebsten und erziele so jährlich im Schnitt fast sieben Prozent Dividendensteigerung und mehr als zehn Prozent Rendite. Horrorjahre wie zur Finanzkrise 2008/2009 oder zur Coronapandemie 2020, als Aktienkurse stark einstürzten und Firmen ihre Dividenden drastisch kürzten, schockten ihn da nicht mehr. Schließlich ist Jonen ein langfristig orientierter Investor, und wenn das einer sagen kann, dann wohl er. 1982 kaufte er für 20.000 D-Mark seine ersten vier Aktien – und beinahe auch den deutschen Elektrokonzern AEG, der kurz darauf insolvent ging. So lernte er rasch, wie wichtig Diversifikation ist: "Auch das beste Unternehmen kann scheitern, daher tut Absicherung not."

"Das Leben in jedem Moment genießen"

Und Buy-and-hold: "Ich habe anfangs viel zu viel ge- und verkauft und getradet. Dabei sollte man Aktien mindestens fünf Jahre lang halten." Heute schaue er so selten ins Depot, dass er nicht mal den genauen Wert kenne. "Ob fünf oder zehn Millionen, das interessiert mich nicht", sagt er. "Bis ich sie realisiere, sind das eh nur Kursgewinne." Über fallende Kurse freue er sich, weil er dann günstiger nachkaufen könne. Bis heute reinvestiert Jonen zehn Prozent der jährlichen Dividenden und kauft für 35.000 Euro pro Jahr neue Aktien "als Sicherheitsmarge, damit das Vermögen auch wirklich bis zum Lebensende reicht".

Neuanlegern rät Jonen, statt auf Einzeltitel von Anfang an mehr auf ETFs zu setzen: "Dividenden-ETFs decken fast alles ab, was Dividende zahlt." Hätte es die früher gegeben, hätte Jonen viel mehr darin investiert. Denn so sparten Anleger sich die Zeit für die mühsame Analyse von Einzelaktien – und genießen auch noch steuerliche Vorteile, weil 30 Prozent des ETF-Vermögens von der Abgeltungssteuer freigestellt sind.

Von übertriebener Sparsamkeit in jungen Jahren hält der alte Hase nichts: "Man sollte das Leben in jedem Moment genießen." Auch 30-Jährige könnten erkranken, Unfälle haben. Da helfe das pralle Depot auch nicht. Wer schon mit 40 in die Rente gehen wolle, müsse in der Zeit zwischen 20 und 40 auf vieles verzichten. Er findet: "Das lohnt sich doch nicht."

Auf seinem Weg zur finanziellen Freiheit hätten ihm eh zwei ganz andere Sachen geholfen: das hohe eigene Gehalt sowie der Zinseszinseffekt. Weil er schon mit 22 Jahren die ersten Aktien kaufte, reichte selbst die geringe Sparquote von zehn Prozent, um den Effekt über 30 Jahre voll zu nutzen. Als Jonen 2012 in Rente ging, habe er mit seinen Dividenden dann schon rund 240.000 Euro pro Jahr verdient. Zwar nur etwa 80 Prozent seines damaligen Gehalts – doch da ohne Lohn die Sozialabgaben wegfallen, habe das ausgereicht. Und im Gegensatz zum Arbeitseinkommen stiegen die Dividenden in den meisten Jahren ja auch ganz ohne eigenes Zutun und die Mühen einer Gehaltsverhandlung.

Seitdem macht Jonen das, was ihm Freude bringt. Nächste Woche fährt er mit seiner Frau fünf Tage nach Italien. Er sagt: "Bei uns ist immer Urlaub. Ich sitze gerade an meinem Schreibtisch und mache Urlaub, dann geht’s nach Italien in den Urlaub und dann geht es in Bonn weiter mit dem Urlaub." Und komme es denn nicht darauf an im Leben, neben all dem Geld und den Märkten und diesem ganzen Unsinn?

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