Spitzenverdiener: Ist es fair, dass Manager mehrere Millionen verdienen?

Autor*innen
Hannah Scherkamp und Felicitas Wilke
Ein Münzhaufen liegt auf zwei aufgehaltenen Händen.

Ein Dax-Vorstand in Deutschland verdient im Schnitt 1.300 Euro – in der Stunde. Normale Angestellte im selben Unternehmen haben oft 40-mal weniger. Woran das liegt.

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Wer in Deutschland einen Dax-Konzern führt, verdient nicht nur sehr gut, sondern exorbitant viel. So viel ist sicher. Im Schnitt nämlich 5,7 Millionen Euro im Jahr, wie eine neue Studie der Technischen Universität München und der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) zeigt.

Das höchste Einkommen unter den Dax-Vorständen hat demnach Oliver Blume, der Vorstandsvorsitzende von Volkswagen und Porsche. Sein Gehalt lag im vergangenen Jahr bei mehr als zehn Millionen Euro. Die Unterschiede zwischen den Konzernen sind groß, doch auch das vergleichsweise geringste Gehalt eines Dax-Vorstands liegt noch bei 1,7 Millionen Euro im Jahr – das erhält Michael Sen, der Chef von Fresenius.

Geht man davon aus, dass ein Dax-Vorstand in etwa 60 Wochenstunden arbeitet, macht das im Schnitt 1.300 Euro brutto – in der Stunde. Und selbst wenn die Managerin oder der Manager noch mehr Zeit im Büro und bei Terminen verbringt, bleibt es dabei: In nur wenigen Stunden verdient sie oder er mehr als andere Beschäftigte im ganzen Monat.

Der Begriff für diesen Unterschied lautet Vertikalität – und diese wird in einem Wert gemessen, der beschreibt, wie hoch die Gehälter des Vorstands im Vergleich zu anderen Angestellten sind. Bei Volkswagen liegt der Wert bei 85, bei Adidas bei 71 und im Durchschnitt aller Dax-Konzerne bei 40. Heißt: Im Schnitt verdient ein Dax-Vorstand etwa 40-mal mehr als ein normaler Angestellter im selben Unternehmen. Früher lag dieser Wert laut Gunther Friedl von der TU München, der die Studie durchgeführt hat, bei 53. Er ist zuletzt also gesunken, bleibt aber weiterhin hoch. Zu hoch, finden viele Menschen: In Umfragen gaben drei von vier Menschen hierzulande an, Manager verdienten zu viel. Stimmt das?

Es lohnt sich, Chef zu sein

So viel höher ist ein Vorstandgehalt im Verhältnis zum Durchschnittsgehalt der übrigen Konzernbeschäftigten:

Navid Armeli forscht am Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Er findet: Wer ein Unternehmen mit tausenden Beschäftigten lenkt, dürfe dafür auch ein überdurchschnittliches Gehalt überwiesen bekommen. "Gleichzeitig ist ein Vorstand auch nicht so viel produktiver als die restliche Belegschaft, dass damit das 80-fache Gehalt ethisch zu rechtfertigen wäre."

Und nicht nur das, Armeli glaubt auch, dass der Gehaltsunterschied zwischen Vorständen und Angestellten tatsächlich noch größer ist, als in der DSW-Studie angegeben. Die beschriebene Vertikalität wird nämlich an den durchschnittlichen Personalkosten für die Mitarbeitenden festgemacht. Das sei zwar "methodisch nicht verwerflich", doch dieser Durchschnittswert beinhalte auch die Gehälter von Angestellten, die zwar nicht im Vorstand sitzen, aber im gehobenen Management ebenfalls sehr viel verdienen. Das verzerre das Bild. Noch besser wäre es gewesen, den Medianwert der Löhne aus der Belegschaft zu betrachten, findet Armeli. Der Median bezeichnet die Mitte einer Datenreihe, die der Größe nach sortiert worden ist. Dieser Wert ist daher generell weniger anfällig für Ausreißer in die eine oder andere Richtung. Hätte man die Vorstandsgehälter mit dem mittleren Verdienst der Mitarbeitenden verglichen, wäre die Differenz wahrscheinlich noch größer ausgefallen, vermutet Armeli. Oft zu groß, als dass es seiner Ansicht nach angemessen wäre.

Einige Parteien wollen Gehälter von Managern begrenzen

Arbeit ist Arbeit, ob sie nun eine Mitarbeiterin am Band oder der oberste Chef im Vorstandsbüro verrichtet: So argumentieren vor allem Gewerkschaften und Parteien links der politischen Mitte. Was diese Führungskräfte im Vergleich zu anderen leisteten, rechtfertige keinen derartigen Gehaltssprung. Die Linkspartei etwa forderte deshalb schon vor Jahren, ein Vorstandsvorsitzender solle nicht mehr als das 20-fache des am schlechtesten bezahlten Mitarbeiters im Unternehmen verdienen dürfen.

Einen anderen Vorschlag, wie sich Managergehälter begrenzen lassen könnten, schrieb die SPD vor drei Jahren in ihr Wahlprogramm. Er bezieht sich darauf, dass Unternehmen ihre Personalaufwendungen für die Vorstandsmitglieder von der Steuer absetzen können – auch dann, wenn mehrere Millionen Euro an jeden Vorstand fließen. Ging es nach den Sozialdemokraten, sollten die Konzerne die Beträge nur noch bis zu einem bestimmten Höchstbetrag geltend machen können, der beim 15-fachen Gehalt des Durchschnittseinkommens der Beschäftigten im Betrieb liegen sollte. Auf diese Weise sollte es steuerlich unattraktiver für Unternehmen werden, allzu hohe Gehälter an die Top-Manager zu überweisen. Die SPD gewann die Wahl, doch in den Koalitionsvertrag schaffte es das Vorhaben nicht.

Der Markt gibt die Gehälter vor

Befürworter von hohen Vorstandsgehältern halten diese hingegen für leistungsbasiert – also gerechtfertigt. "Jede Top-Managerin erhält neben ihrem Festgehalt auch eine variable Vergütung, die sich nach kurz- oder langfristig erreichten Zielen orientiert", sagt der Wirtschaftswissenschaftler der TU München Friedl. Je nachdem, ob es in den Auftragsbüchern oder auf dem Kapitalmarkt ein gutes oder schlechtes Jahr für das Unternehmen war, verdienen die Männer und Frauen an der Spitze mehr oder weniger Geld. Ein Umstand, den man durchaus als fair empfinden kann.

Hinzu kommt, dass Führungskräfte auch international gefragt sind. "Wenn Dax-Konzerne erfahrene Manager als CEOs gewinnen wollen, müssen sie das zahlen, was auch in anderen Ländern üblich ist", sagt Friedl. Sonst würden die Besten immer dorthin gehen. Beispielsweise verdienten Firmenchefs von im Dow Jones gelisteten Unternehmen im Jahr 2023 im Schnitt 24,2 Millionen Euro und damit durchschnittlich 416-mal mehr als ihre Angestellten. Auch im europäischen Vergleich, das zeigt die neue Studie, fallen die Vorstandsgehälter in Deutschland eher unterdurchschnittlich aus. Insbesondere in Frankreich werden CEOs besser bezahlt: Dort sind zweistellige Millionengehälter – anders als hierzulande – gängig.

Außerdem wird in vielen Branchen – bei Großkanzleien oder Private-Equity-Fonds – ebenfalls sehr gut gezahlt. Würden ihre Gehälter sinken, könnten DAX-CEOs dorthin wechseln, sagt Friedl. Es erinnert ein wenig an den Transfermarkt im Fußball oder anderen Sportarten: Um die besten Spieler anzulocken oder zu halten, müssen sie sich gegenseitig mit hohen Ablösesummen und Gehältern übertrumpfen – bis immer surrealer wirkende Summen zur Normalität werden.

Zwar stünde Deutschland tatsächlich mit anderen Ländern im Wettbewerb um die besten Managerinnen und Manager, sagt Armeli von der Hans-Böckler-Stiftung. "Doch nur, weil ein Gehalt als üblich gilt, ist es noch nicht gleich angemessen." Wie im Sport bestehe auch bei den Vorstandsgehältern "die Gefahr, in eine Aufwärtsspirale zu geraten".

Vorstandsgehalt als "Schmerzensgeld"

Für hohe Gehälter für Vorstandsmitglieder spricht dagegen, dass die Managerinnen und Manager viel Verantwortung übernehmen. "Sie müssen enorm wichtige Entscheidungen treffen, die Konsequenzen für den Umsatz und viele Mitarbeitende haben können", sagt Friedl. Das Vorstandsgremium, das in DAX-Unternehmen oft aus vier bis fünf Managerinnen und Managern besteht, muss neue Geschäftsfelder erschließen und entscheiden, in welche Länder das Unternehmen expandieren soll. Es muss auch Menschen entlassen und Werke schließen: Darüber denkt VW beispielsweise gerade nach.

In schwierigen Situationen die richtigen Entscheidungen zu treffen, dafür müsse man viel wissen und bereit sein, Wagnisse einzugehen, sagt Friedl. Auch im Alltag seien Vorstandsmitglieder dadurch oftmals eingeschränkt. Teilweise werden sie von Personenschützern zu Terminen begleitet – aus guten Gründen: Erst vor zwei Wochen war bekannt geworden, dass russische Geheimdienste einen Anschlag auf Armin Papperger, den Vorstandsvorsitzenden von Rheinmetall, geplant hatten. Dem damaligen Finanzchef des Energiekonzerns Innogy, Bernhard Günther, kippten zwei Täter vor sechs Jahren beim Joggen Schwefelsäure ins Gesicht, um ihm sein Augenlicht nehmen. "Ich sehe diese hohen Gehälter gewissermaßen auch als Schmerzensgeld", sagt Friedl.

Dieses Schmerzensgeld ist mittlerweile nicht mehr unbegrenzt. Vor fünf Jahren beschloss der Bundestag ein Gesetz, wonach börsennotierte Unternehmen die Gehälter ihrer Führungsriege deckeln müssen. Der Aufsichtsrat muss den Aktionärinnen und Aktionären seitdem vorschlagen, was die Vorstände maximal verdienen können dürfen. Und diese stimmen darüber ab.

Leicht ist das nicht. Nicht immer sei klar, ob ein Vorstandsmitglied tatsächlich die individuellen Ziele erreicht habe, kritisiert die Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Dieses Wissen braucht es aber, um als Aktionärin einschätzen zu können, ob sich jemand einen Bonus verdient hat. Auch bemängelt die DSW, wie schwierig es sei, die Vorstandsgehälter von börsennotierten Unternehmen überhaupt vergleichen zu können. Jeder Konzern lege sie in seinen Berichten auf eigene Weise offen, es gebe keine vergleichbare Darstellung über alle Unternehmen hinweg.

Insgesamt sieht der Wirtschaftswissenschaftler Friedl in Deutschland aber eine "große Professionalität" dabei, wie Vorstandsgehälter festgelegt würden: "Es gibt keine maßlose Übertreibung, niemand macht sich dort die Taschen voll." Dass sich ein Dax-Chef unkontrolliert ein enorm hohes Gehalt zahlen lässt, einen riesigen Bonus oder eine unverschämt hohe Rente kassiert, passiert seiner Einschätzung nach immer seltener. Auch, weil Medien darüber berichten und es eine Art öffentliche Kontrolle gebe. Nur, ob diese Kontrolle auch dazu führt, dass die Gehälter gerecht genug sind, bleibt umstritten.

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