Kreative Pause: Auszeit
- Katja Scherer
Immer mehr Menschen legen zwischen zwei Jobs eine Pause ein. Doch wie lässt sich diese nutzen, um nicht nur eine gute Zeit zu haben – sondern auch eine, die einen weiterbringt?
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Stefan Winners hatte viele Angebote auf dem Tisch. Ein Mittelständler wollte ihn als Geschäftsführer gewinnen, ein Konzern als Vorstand. Sie alle buhlten mit hohen Gehältern, Dienstwagen und schickem Büro um ihn, der sieben Jahre lang im Vorstand des Medienkonzerns Burda das Digitalgeschäft gestärkt hat. Doch Winners kam es weniger aufs Geld an, und es ging ihm nicht so sehr ums Prestige. Er wollte etwas ganz anderes – und bat bei den Firmen um drei Monate Auszeit, um in Ruhe über seine berufliche Zukunft nachzudenken. "Eine sehr gute Entscheidung", sagt er rückblickend.
In dem eng getakteten Alltag bei Burda, in dem 60-Stunden-Wochen für Winners die Norm waren, er sein dienstliches iPad so selbstverständlich mit in den Urlaub nahm wie die Badehose, war eines für ihn auf der Strecke geblieben: das grundsätzliche Nachdenken über sich selbst. Was wollte er wirklich erreichen, fragte sich der damals 52-Jährige.
Das Bedürfnis nach Ruhe, nach Zeit für ganz grundsätzliche Fragen, das Winners damals spürte, vor etwa fünf Jahren – das empfinden auch andere. Selbst Spitzenmanager nehmen sich deshalb immer häufiger eine Auszeit. Antje von Dewitz, die Chefin des Sportwarenherstellers Vaude, ließ kürzlich für drei Monate ihren Job ruhen. Lea-Sophie Cramer, die Gründerin des Onlinesexshops Amorelie, hat 2019, nachdem sie von ihrem Chefposten zurückgetreten war, sogar eine Pause von einem Jahr eingelegt. Das Netzwerk LinkedIn bietet seinen Mitgliedern seit Kurzem sogar die Option, das Schlagwort "Berufliche Auszeit" als Station im Lebenslauf zu listen. Und kaum ein Tag vergeht, an dem dort nicht jemand Strand- und Bergfotos mit den Worten "Yes, endlich raus!" postet. Natürlich, so eine Auszeit kann Spaß machen. Soll sie auch. Aber eben nicht nur. Wie also lässt sich da noch etwas Bedeutsameres rausholen? Wie stellt man sicher, nicht nur eine gute Zeit zu haben, sondern eine richtungsweisende?
Wissenschaftlich betrachtet, ist es dazu nicht gerade ratsam, wochen- oder gar monatelang gar nichts zu tun. Im Schnitt sinkt der Intelligenzquotient schon nach fünf Tagen Faulenzen um etwa fünf Punkte. Darauf hat schon im Jahr 2000 der deutsche Psychologe Siegfried Lehrl hingewiesen. Außerdem wäre das doch auch schade: Da hat man endlich einmal richtig viel Zeit, ein enormer Luxus – und dann lässt man sie einfach so verstreichen?
Nina Kuhlmann unterstützt Beschäftigte bei der Planung von Sabbaticals – und rät: Selbst wer einfach eine entspannte Zeit haben will, sollte überlegen, ob es da nicht etwas gibt, das man im Leben unbedingt mal machen möchte. Das muss nicht immer der Jakobsweg sein. Vielleicht möchte man auch einfach richtig gut fotografieren lernen, einmal wochenlang am Meer leben und surfen oder die pulsierende Kreativwirtschaft Westafrikas kennenlernen. "Sich solche persönlichen Herzensprojekte vorzunehmen ist oft befriedigender, als einfach nur ganz normal Urlaub zu machen", sagt Kuhlmann. Außerdem bringt es meist mehr Inspiration, weil man sich eben nicht nur einfach die Zeit vertreibt, sondern intensiv mit etwas Neuem auseinandersetzt.
Sparring für die Sinnsuche
Für den früheren Burda-Vorstand Stefan Winners wurde die dreimonatige Pause richtungsweisend. Und zwar ganz anders, als er es erwartet hatte. Winners wollte nach seinem Ausstieg gar nichts grundlegend ändern. Er wollte nur mal mit seiner Familie auf Reisen gehen. Ohne das Tablet im Gepäck und die nächste Vorstandssitzung im Hinterkopf. Und er wollte sich in Ruhe überlegen, in welcher Funktion, welcher Branche und welchem Unternehmen es anschließend weitergehen sollte. Darüber wollte er mit jemandem gemeinsam nachdenken, nahm sich einen Coach – und merkte irgendwann: Sich selbstständig machen, das wär’s! Etwas, womit er gar nicht gerechnet hatte.
Der große Vorteil der Auszeit sei gewesen, dass er zum ersten Mal gedanklich völlig raus aus dem Trott gekommen sei, sagt Winners. Im Urlaub habe er das nie geschafft, auch weil er immer nebenher arbeitete. So geht es vielen Deutschen. Eine aktuelle Umfrage der Krankenkasse Pronova BKK zeigt, dass fast ein Viertel wenig ausgeruht aus dem Urlaub zurückkehrt. Rund die Hälfte liest und schreibt währenddessen Mails. "Im Sabbatical hat das Reflektieren besser geklappt, weil ich keine operative berufliche Verantwortung mehr hatte", sagt Winners.
Ohne die kritischen Nachfragen des Coaches aber, davon ist er überzeugt, hätte er das Modell des angestellten Managers nie infrage gestellt. Wo stehe ich? Was hat mir in meiner bisherigen Karriere Spaß gemacht? Und was würde ich gerne ändern? Was ist mir im Leben wichtig – und was bedeutet das für die Frage, wo und wie viel ich arbeite? Und was will ich im Job in den nächsten fünf Jahren erreichen? Solche Fragen geht auch Beraterin Kuhlmann mit ihren Kunden durch. Einfach zu hoffen, dass man in seiner Auszeit schon irgendwann eine zündende Idee haben werde, reiche oft nicht, sagt sie. "Dann ist man hinterher nur noch frustrierter als vorher, weil man das Gefühl hat, keinen Schritt weiter gekommen zu sein." Das zeigt auch eine Studie des Erziehungswissenschaftlers Martin Rothland von 2013. Der Forscher befragte Lehrer nach ihrem Sabbatical – und fand heraus: Diejenigen, die vorher schon beruflich unzufrieden waren und nichts verändert hatten, waren es nachher immer noch. Eine erfolgreiche Neuorientierung setze eine strukturierte Selbstreflexion voraus, sagt Kuhlmann. "Es hilft, wenn man sich ein klares Ziel setzt, mit dem man aus dem Sabbatical herausgehen will."
Frank Ebertus, 50, hat sich ein solches Ziel gesetzt. Der Controller hat früher lange bei der Supermarktkette Real und danach beim Modehändler P&C gearbeitet. Ursprünglich war es dort seine Aufgabe, neue Standorte durchzurechnen. Doch nach der Insolvenz des Unternehmens im März 2023 kalkulierte er nur noch diverse Sparmaßnahmen. Sein Frust wurde immer größer. Ebenso wie seine Zweifel, ob er wirklich in einem stark renditeorientierten Großunternehmen arbeiten wolle. Ebertus kündigte. Seit gut einem halben Jahr versucht er nun herauszufinden, ob ein Job im gemeinnützigen Sektor etwas für ihn sein könnte. "Ich will ausprobieren, ob ich in altruistisch angelegten Organisationen zurechtkomme – oder ob ich aufhören sollte zu träumen", sagt er.
Zum Test nach Tansania
Im Frühjahr hat Ebertus für drei Monate bei einer gemeinnützigen Organisation im ostafrikanischen Tansania gearbeitet und dort ehrenamtlich das Controlling für ein Krankenhaus aufgebaut. "Dadurch habe ich gemerkt, dass es schon sehr befriedigend ist, für eine Organisation tätig zu sein, die das Leben der Menschen wirklich besser macht." Nun lotet er gerade Optionen aus, um solch einen sinnvollen, aber dennoch einigermaßen ordentlich bezahlten Job zu finden. Dafür schaut er sich verschiedene Vereine, öffentliche Organisationen, aber auch Unternehmen an, die besonders sozial und umweltfreundlich arbeiten. Er recherchiert im Internet, telefoniert oder trifft sich mit Menschen, die in solchen Bereichen arbeiten. "Neben einem Vollzeitjob könnte ich diese Suche gar nicht so intensiv vorantreiben", sagt er.
Die Suche nach einem tieferen Sinn ihrer Arbeit beobachtet Claus Verfürth vor allem bei Managern mittleren Alters. Der Geschäftsführer des Beratungsunternehmens The Boardroom berät gemeinsam mit einem 35-köpfigen Team Bereichsleiter, Vorstände und Geschäftsführer beim Jobwechsel. Oft sind das Männer, im Alter zwischen 45 und 55 Jahren, die sich nach einer erfolgreichen, aber eben auch anstrengenden Zeit fragen, ob es nicht noch mehr gibt im Leben. Sich selbstständig machen, im gemeinnützigen Bereich Gutes tun oder Investor für klimafreundliche Geschäftsmodelle werden – solche Ideen hätten viele von ihnen, erzählt Verfürth. "Fakt ist aber, dass sich 70 bis 80 Prozent unserer Klienten dann gegen diesen Weg entscheiden und im Wesentlichen genau das Gleiche machen wie vorher." Meist aus einem einfachen Grund: Viele stellten fest, dass sie darin eben auch richtig gut sind.
Und andere merken in einer solchen Pause, wo sie noch besser werden wollen. Michael Krause zum Beispiel hat bis März als Projektmanager bei einem international tätigen Softwareanbieter gearbeitet und sich dann vor allem aus gesundheitlichen Gründen für eine Auszeit entschieden. Der Stress im Job habe an ihm gezerrt. Nun will er Kräfte sammeln, um im nächsten Job wieder voll loslegen zu können, sagt er. Bislang hat er sich noch nicht auf bestimmte Stellen beworben. Dennoch sitzt der 59-Jährige jeden Tag vor acht Uhr am Schreibtisch. Für Weiterbildungen. "Ich will mit meiner freien Zeit etwas Sinnvolles tun", sagt Krause. Er belegt Kurse zu agilem Projektmanagement und zu Prompt Engineering, also Kniffen, mit denen man Tools zur generativen künstlichen Intelligenz am besten bedient. "Dadurch bin ich dann nach meiner Auszeit fachlich umso besser."
Struktur bringt Erholung
Auch wenn es für manche nicht nach einer Auszeit klingen mag, schon vor acht Uhr am Schreibtisch zu sitzen: Eine klare Tagesstruktur ist auf Dauer einfach erholsamer. Das zeigt eine Umfrage, die die Krankenkasse BKK Pronova im vergangenen Jahr unter Psychiatern und Psychotherapeuten durchgeführt hat: 81 Prozent gaben darin an, dass sich eine fehlende Tagesstruktur negativ auf die psychische Verfassung ihrer Patienten auswirke. Und eine groß angelegte Studie in den USA zeigte 2021, dass es Menschen bei einem Übermaß an freier Zeit schnell an einem Gefühl der Produktivität mangelt. Michael Krause achtet daher darauf, wenig Leerlauf zu haben. Ist ein Onlinekurs rum, nimmt er sich neue Aufgaben vor. Er recherchiert: Welches Jobprofil für Projektmanager ist derzeit gefragt? Welche Kompetenzen bringe ich schon mit? Und wo brauche ich ein fachliches Update? Und er schreibt frühere Kollegen an, die sich selbstständig gemacht haben, und sammelt ihre Erfahrungen ein. "So will ich herausfinden, ob das nach der Auszeit auch für mich eine Option sein könnte."
Doch selbst für diejenigen, die schließlich doch nichts Neues wagen, sei eine Auszeit sinnvoll, betont der Berater Verfürth. Es gebe ihnen nämlich das Gefühl, eine bewusste Entscheidung getroffen zu haben. Und damit die Gewissheit, das Richtige zu tun. Stefan Winners hat sich heute, vier Jahre nach seinem Schritt in die Selbstständigkeit, verschiedene Standbeine aufgebaut, als Berater, als Multiaufsichtsrat, als Investor und als Mentor für Gründer und Geschäftsführer. Er arbeite noch genauso viel wie früher, sagt er. Doch jetzt könne er sich seine Zeit selbst einteilen, seine Projekte selbst wählen, und "im Gegensatz zu früher ist Urlaub bei mir jetzt richtiger Urlaub". Ihm sei erst durch die bewusste Auseinandersetzung mit seinen Wünschen bewusst geworden, was ihm wirklich wichtig ist: unternehmerische wie persönliche Freiheit.
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