Chancen auf Führungspositionen: Warum sind die anderen in Chefpositionen und ich nicht?

Autor*innen
Heike Faller
Ein Businessmann rennt vor einem T-Rex davon. Der T-Rex trägt eine Krawatte und ein Pfeil neben dem Wort "BOSS" zeigt auf ihn.

Manchmal lautet der Grund: Weil Durchschnittlichkeit Durchschnittlichkeit rekrutiert. Für gute Leute bedeutet es, dass sie den Job wechseln sollten.

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Stephanie Schorp ist Diplom-Psychologin und Geschäftsführerin der Personalberatung Comites. 2022 erschien ihr Buch im Campus-Verlag: "Persönlichkeit macht Karriere."

Immer wieder fragen mich Klienten: Warum merkt eigentlich keiner, wie gut ich bin? Warum mache ich keine Karriere, obwohl ich fachlich überdurchschnittliche Leistungen bringe? Und warum kommen umgekehrt Leute hoch, die keinen nennenswerten Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten – warum sind sie in Chefpositionen und nicht ich?

Viele meiner Klienten sind unglücklich und unzufrieden mit ihrem Job, häufig, weil sie sich nicht gesehen fühlen in dem, was sie können. Als Headhunterin sehe ich ihre Lebensläufe, ich sehe, sie hatten in der Vergangenheit Erfolge, aber sie sind nicht an der Stelle, an der sie sein könnten. Oft merkt man schon im Gespräch, woran das liegen könnte: Sie verkaufen sich unter Wert, sind sich ihrer Kompetenzen nicht so bewusst und lassen sich von Machtgesten schnell verunsichern. Oder sie sind nicht besonders gut darin, sich zu präsentieren.

Was rate ich diesen Klienten? Zuerst die schlechte Nachricht: Es gibt tatsächlich Umfelder, in denen hat man als stiller, inhaltsgetriebener Mensch wenig Chancen, egal wie gut und fleißig man ist. Es gibt Unternehmenskulturen oder auch einzelne Abteilungen, in denen kommen eher diejenigen hoch, die eine Show abziehen. Oder auch die, die Machtsysteme schnell begreifen, die verstehen, was der Vorstand hören will. Leute, die immer die richtigen Buzzwords auf den Lippen haben, New Work. KI, New Leadership. Optimierung. Digital. Environmental Social Governance. Sie bedienen die richtigen Themen und in manchen Firmen kommen sie damit an. Der Vorstand denkt: Ja, die hat es kapiert! Diese Menschen arbeiten an Projekten, von denen sie wissen, dass sie die Aufmerksamkeit des Vorstands haben. Sie tun das genau so, wie es vorgegeben wird, ohne den Sinn zu hinterfragen, auch wenn das für das Unternehmen nicht gut ist. Aber sie machen es trotzdem, weil ihre Karriere im Vordergrund steht. Und auch ihr Auftreten ist perfekt: Nicht zu provokant, immer freundlich-verbindlich, unangreifbar und manch einer fragt sich: Wer ist die Person dahinter wirklich?

Schaumschläger demütigen andere mit Inkompetenz

Manche meiner sozial weniger geschickten Klienten bemerken diese Strategie oft erst nach Jahren, sie durchschauen die Spiele nicht, weil sie selber völlig anders ticken.

Wenn diese Macht- und Showtalente gute Arbeit machen – wunderbar. Denn es schließt sich ja auch nicht aus, sichtbar zu sein und gute Arbeit zu machen. Schwierig wird es bei denen, die Schaumschläger sind. Ich kriege mit, wie sehr meine Coachees unter ihnen leiden. Als Vorgesetzte hindern sie häufig auch andere daran, exzellente Arbeit zu machen. Sie demütigen sie mit Gesten, mit denen sie deutlich machen, dass immer noch sie es sind, die entscheiden. Oder einfach nur mit Inkompetenz. Wer fachlich weiß, was er tut, für den ist es demotivierend, Aufgaben machen zu müssen, die nicht wirklich sinnvoll sind.

Manchmal werden von den Schaumschlägern auch einfach Nebenkriegsschauplätze gesucht. Statt die anstehende Transformation zur E-Mobilität voranzutreiben, gibt es die 78. Umstrukturierung eines Bereichs, weil man vielleicht Einsparpotenziale sieht und so seine kurzfristigen Zahlen aufhübschen kann. Aber die eigentlich notwendigen Veränderungen werden nicht angegangen.

"In kleineren Unternehmen wird Leistung sichtbarer"

Warum kommen ausgerechnet sie trotzdem in solche Positionen?

In manchen Abteilungen ist es so, dass Durchschnittlichkeit Durchschnittlichkeit rekrutiert, dass Leute, die selbst gut glänzen können, eher solche fördern, die es ihrerseits auch tun. Hinzu kommen die Auswahlmethoden: In vielen Firmen gibt es Auswahlprozesse, welche Kandidaten befördert werden sollen. Diese Menschen müssen dann Präsentationen halten oder in Rollenspielen Personalgespräche führen. Hier werden Kompetenzen gemessen, wie Durchsetzungsfähigkeit, Auftreten, Kommunikationsfähigkeit. Das ist nicht schlimm, diese Kompetenzen braucht es. Aber es braucht eben auch andere Fähigkeiten – wie Selbstreflexion, Empathie, Resilienz, Mut, Integrität, Entscheidungsfähigkeit. Und die werden häufig nicht gemessen.

Viele derjenigen, die über Karrieren entscheiden, sind auch einfach nicht genug in die tägliche Arbeit involviert, um zu sehen, wer sich wirklich Mühe gibt. Was bei ihnen ankommt, sind nicht die Details der Arbeit, sondern große, sichtbare Aktionen. Wir wissen aus Studien, dass Menschen sich aus einer viel zu geringen Datengrundlage ein Bild von anderen Menschen machen – das bevorteilt häufig die, die in wenigen Situationen in Top-Form sind. Was sie nicht sehen: Wer arbeitet im Sinne des Unternehmens und wer nur für die Präsentation der nächsten Vorstands- oder Aufsichtsratssitzung? Wer arbeitet verlässlich und vertrauensvoll und vor wem muss ich mich immer in Acht nehmen? Wer ist nicht nur zum Vorstand nett, sondern auch zum Assistenten oder Praktikanten?

Erst mal ist es gut, das Problem zu erkennen. Manchmal rate ich meinen Klienten tatsächlich, sich ein anderes Umfeld zu suchen, wenn sie das Gefühl haben, dass sie fachlich über viele Jahre Top-Arbeit gemacht haben, aber trotzdem übersehen werden. Denn, und das ist die gute Nachricht, es gibt auch viele Chefs und Chefinnen, die Leistung sehen und würdigen. So nach dem Motto: Ich brauche gute Leute, dann geht es auch mir besser. Manchmal erkennt man solche Chefinnen in Vorstellungsgesprächen – daran, wie sie bei den Wünschen und Bedürfnissen des Bewerbers zuhören. Bevor man das Unternehmen wechselt, kann man auch in Erfahrung bringen: Was sind die Spielregeln im Unternehmen, wer macht dort Karriere, was sind die Erfolgsgeschichten? Ist das Unternehmen ein Konzern oder eher ein Mittelständler? Wenn jemand nicht gut darin ist, große Systeme zu spielen, dann wird die Person dort auch keine Karriere machen. In Konzernen kann man sich verstecken, in kleineren Unternehmen wird Leistung sichtbarer.

Statt großer Auftritte: persönliche Mittagessen

Und dann ist es natürlich auch wichtig, sich als eher stille Person nicht in die Schmollecke zurückzuziehen und darauf zu warten, dass man entdeckt wird. Es ist wichtig, seine Grenzen aufzeigen, wenn man übergangen wurde, seinen Unmut klarmachen, wenn jemand anders mehr Ressourcen bekommt, trotz eigener hervorragender Leistung.

Ein Weg kann auch sein, sich in seinem Unternehmen Rollenvorbilder zu suchen, die authentisch und erfolgreich sind. Nicht zu laut, nicht zu leise, aber in ihrer Kompetenz wahrgenommen. Wer hochkommen will, muss zeigen, dass er für ein Thema steht, eine Meinung hat, sich eine Expertise aufgebaut hat. Und natürlich: Sich einmischen, die Projekte bekommen, die man besser absolvieren kann als andere, wo man dem Unternehmen nützt und sich selbst profiliert. Solche Leute will man halten und nicht mit all ihrem Wissen beim Wettbewerber sehen.

Und noch eine Empfehlung, die vielen eher frustrierten Klienten schon weitergeholfen hat: Wer sich schwertut mit großen Auftritten, kann regelmäßig mit wichtigen Menschen in der Firma Mittagessen gehen. Viele Stille sind auch so unnahbar, sodass die, die über sie entscheiden, gar nicht wissen, wer der Mensch dahinter ist oder wofür er oder sie fachlich steht. Bei einem gemeinsamen Essen wird Vertrauen aufgebaut – und man ist bei der nächsten Personalentscheidung im Hinterkopf.

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