Interkulturelle Kompetenz: Wie du mit kulturellen Unterschieden richtig umgehst
- Markus Eidam
Firmen verkaufen ihre Produkte weit über Deutschlands Grenzen hinaus, sie arbeiten in Joint Ventures mit Unternehmen in anderen Ländern zusammen und beschäftigen Mitarbeiter aus dem Ausland. Kein Wunder, dass man in Stellenausschreibungen immer öfter die Anforderung "Interkulturelle Kompetenz" findet. Doch was versteht man darunter?
Ob ein Mensch interkulturell kompetent ist oder nicht, lässt sich schwer einschätzen. Oft werden deshalb Auslandserfahrung oder Sprachkenntnisse als Gradmesser genommen: "Ich war ein halbes Jahr in XXX; keine Frage, dass ich interkulturell kompetent bin" oder "Ich habe ausländische Wurzeln, natürlich kenne ich mich damit aus". Die Praxis zeigt aber, dass derlei Erfahrungen nur eine wichtige Grundlage sind, mehr jedoch auch nicht.
Was ist interkulturelle Kompetenz eigentlich?
Vereinfacht gesagt: Du bist dann interkulturell kompetent, wenn du dein Verhalten so an die Erwartungen ausländischer Personen anpassen kannst, dass du deine Ziele effizient erreichst, ohne dein Gegenüber negativ zu beeinflussen oder zu verärgern. Idealerweise hat dein Verhalten dabei sogar einen positiven Einfluss auf dein ausländisches Gegenüber. Um das zu erreichen, sind folgende Fähigkeiten hilfreich und teilweise sogar unabdingbar:
- Sprachkenntnisse (fließend in Englisch oder der Sprache deines Gegenübers)
- Wissen über die kulturellen Eigenheiten deiner Ziellands
- Empathie und Kommunikationsfähigkeit
- Die Bereitschaft, Neues auszuprobieren
- Toleranz und Veränderungsbereitschaft
- Ein gesunder Umgang mit Stress und unklaren Situationen
- Kooperatives Arbeiten und aktives Zuhören
Direktheit
Viele Deutsche sind eher direkte Menschen. Das heißt, sie sprechen Sachverhalte klar und eindeutig an. Ganz gleich, ob es sich dabei um Positives oder Negatives handelt. Sehr viele Kulturen kommunizieren jedoch wesentlich indirekter, als dies der Durchschnittsdeutsche tut. Sprich: Sie deuten Negatives lediglich vorsichtig an. In der Hoffnung, dass das Gegenüber die richtigen Schlüsse zieht. Das Problem liegt dabei auf der Hand: Deutsche beleidigen viele Ausländer ungewollt, weil sie Negatives zu offen aussprechen. Zudem fällt es vielen Deutschen meist schwer, die Andeutungen eines indirekten Menschen korrekt zu deuten. Ergo? Überlege bitte genau, wie du Negatives formulierst! Wähle eher eine vorsichtige Variante und höre genau hin, wenn dir jemand etwas sagt. Unter Umständen ist ein kleines Problem nämlich ein großes, lediglich geschickt verpackt.
Sachorientierung
Für viele Deutsche ist die Sache ausschlaggebend, um die es in einer bestimmten Situation geht. In Besprechungen "kommt man zur Sache" und "bleibt bei der Sache". Allzu viel Privates hat in einer beruflichen Situation nichts zu suchen. In vielen anderen Ländern dieser Welt legen die Menschen jedoch viel größeren Wert auf eine persönliche Beziehung. Sie wollen wissen, mit wem sie es zu tun haben und was dich als Mensch ausmacht. Dementsprechend werden viele Deutsche als humorlos, steif und unnahbar wahrgenommen, wenn sie sich ausschließlich stur auf die Sache konzentrieren. Wenn du möchtest, dass man dir vertraut, solltest du dich also persönlich öffnen und auch private Dinge von dir preisgeben!
Zeitplanung
In Deutschland legt man viel Wert auf Pünktlichkeit und das Einhalten von Terminen. Dies ist in manch anderer Kultur bei Weitem nicht so wichtig. Trifft man beispielsweise im Arabischen Raum einen alten Freund, wäre es grob unhöflich und überhaupt nicht beziehungsorientiert, wenn man sich für ihn keine Zeit nehmen würde; ganz gleich, ob man dafür einen Termin verschieben muss. So sind in manchen Ländern Wartezeiten von mehr als einer halben Stunde durchaus üblich. Die deutsche Pünktlichkeit wird zwar sehr geschätzt, man sollte sich nur nicht ärgern, wenn dies von der Gegenseite nicht genauso gehandhabt wird. Meistens ist das kein Zeichen von fehlendem Respekt, sondern ganz einfach so üblich.
Individualismus
Viele Deutsche verbringen ihre Zeit nicht immer mit den gleichen Personen - wir haben einen großen Bekannten- und Freundeskreis. Auf Personen, die eher gruppenorientiert denken, kann das schnell oberflächlich und falsch wirken. Bitte denk daran, dass es durchaus Kulturen gibt - wie zum Beispiel Japan -, wo Vertrauen nur zu den Personen aufgebaut wird, die man gut kennt. Dazu gehört auch, dass man viel Zeit mit ihnen verbringt.
Kulturelle Unterschiede kennen
Eine Formel für interkulturelle Kommunikation gibt es nicht - aber viele plakative Tipps, zum Beispiel: Zeige im Arabischen Raum niemandem deine Fußsohlen, denn das gilt aufgrund der Unreinheit des Bodens als grobe Beleidigung! Töte in Indien keine Fliege, denn es könnte die Reinkarnation eines Menschen sein! Übergib Visitenkarten in Japan immer mit beiden Händen, wenn du respektiert werden möchtest! Das Problem ist aber, dass es weltweit mehr als 190 Staaten mit jeweils eigenen kulturellen Werten und Abertausenden speziellen Situationen gibt (zum Beispiel Verhandlungen, private Treffen, Einladungen zum Essen, Mitarbeiterführung, Verkaufsgespräche, …). Eine kurze Zusammenfassung fällt folglich schwer und wäre obendrein sehr verallgemeinernd.
Die zweite große Hürde: Die Menschen einer Kultur sind keine Lemminge; sie verhalten sich nicht alle gleich. Ähnlich wie in Deutschland, wo man einen Ostfriesen niemals mit einem Bayer gleichsetzen würde, verhält sich auch ein Chinese nicht wie der nächste. Dementsprechend gehört zu interkultureller Kompetenz auch ein Gespür für den Mensch, der dir gegenübersteht. Ein Gespür für dessen individuelle Wünsche und Bedürfnisse.
Worauf solltest du achten?
Ganz gleich in welchem Land du dich befindest - es gibt einige typisch deutsche Eigenschaften, die immer wieder für Probleme und Missverständnisse sorgen. Wenn du die folgenden Dinge beherzigst beziehungsweise dein eigenes Verhalten dahingehend überprüfst, wirst du in jedem Fall mehr Spaß und Erfolg bei deinem Auslandskontakt haben.
Weitere Tipps und Tricks für deinen Auslandsaufenthalt
Die folgenden Hinweise habe ich selbst – teilweise durch schmerzliche Erfahrungen – lernen müssen:
- Achte auf Politisches: In einigen Ländern reagiert man sehr sensibel auf bestimmte politische Themen. Mein Tipp: Spare Politik bei Gesprächen immer dann aus, wenn du dir nicht sicher bist, wie dein Gegenüber reagiert.
- Beobachte, wie sich Menschen aus deinem Zielland verhalten: Dies ist meist ein guter Anhaltspunkt für akzeptiertes Verhalten.
- Übersetze keine Witze! Denn ob eine bestimmte Geschichte als witzig empfunden wird, hängt sehr stark vom jeweiligen kulturellen Hintergrund ab
- Sei dir bewusst, dass es gegenüber Deutschen auch Vorurteile gibt! So werden uns manchmal – neben vielen positiven Dingen – auch Unbarmherzigkeit und kaltes Denken unterstellt. Zudem klingt die deutsche Sprache für viele Ausländer schroff und aggressiv. Dementsprechend reserviert begegnen sie manchem Deutschen. Es liegt an dir, ihn oder sie vom Gegenteil zu überzeugen.
- Ein kräftiger Händedruck, der in Deutschland Durchsetzungsfähigkeit beweist, wirkt auf viele Asiaten bedrohlich und aggressiv. Wenn überhaupt Hände geschüttelt werden, tut man dies dort oft sehr sanft.
- Sprich möglichst die Sprache, die alle Anwesenden verstehen. Natürlich ist es einfacher, in die Muttersprache zu wechseln, um mit anderen Deutschen zu sprechen. Personen, die dieser Sprache nicht mächtig sind, könnten dieses Verhalten jedoch schnell so deuten, dass ihr etwas zu verstecken habt
- Umgib dich nicht nur mit Menschen aus deinem Herkunftsland. Viele deutsche Studenten verbringen ihr Auslandssemester liebend gern mit möglichst vielen deutschen Kommilitonen. Schließlich spricht man die gleiche Sprache und muss sich über kulturelle Unterschiede keine Sorgen machen. Den richtigen Umgang mit Menschen anderer Länder lernst du aber nur, wenn du auch tatsächlich Umgang mit ihnen hast.
Markus Eidam arbeitet als Geschäftsführer beim interkulturellen Trainingsanbieter Eidam & Partner, der seit 2004 interkulturelle Trainings, interkulturelle Coachings zu 80 Zielländern sowie zu verschiedenen länderübergreifenden Themen anbietet. Er hat selbst Interkulturelle Kommunikation studiert und mehrere Jahre im Ausland verbracht.