Generationenwechsel: Jung führt alt
- Franziska Telser
Digitalisierung und demografischer Wandel sorgen dafür, dass mehr junge Mitarbeiter in Führungspositionen landen. Was Nachwuchs-Chefinnen und -Chefs beachten müssen, wenn sie Konflikte vermeiden wollen.
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Als Zoe Nogai, 26, vor einiger Zeit eine Nachricht an einen ihrer Mitarbeiter sendet, denkt sie sich nicht viel dabei. "On Read gelassen werden killt auch anders", schreibt sie ihrem Teammitglied und meint damit: Sie ist nervös, weil ihr Vorgesetzter eine ihrer Nachrichten schon gelesen, aber noch nicht beantwortet hat.
"Für mich war das ein ganz normaler Satz", sagt Nogai. Für ihren Mitarbeiter, Mitte 30, besteht hingegen Übersetzungsbedarf. Er habe erst googeln müssen, um ihre Nachricht zu verstehen, schreibt er seiner Chefin. Später, sagt Nogai, hätten sie beide über den Vorfall gelacht.
Dass sie ältere Kollegen anders als Gleichaltrige ansprechen muss, war etwas, das Zoe Nogai erst lernen musste. Vor etwa anderthalb Jahren hat die 26-Jährige die Projektleitung in einem großen deutschen Telekommunikationskonzern übernommen – und damit auch ein elfköpfiges Team, in dem alle älter sind als sie.
Zoe Nogai ist damit nicht allein. Unternehmen satteln um, immer öfter rücken junge Fachkräfte in die Führungsriege auf und leiten Teams, die aus Mitarbeitern jenseits der 50 bestehen.
Hauke Schwiezer kennt sich aus, wenn es um junge, führungswillige Menschen geht. Mit seiner Initiative Startup Teens bringt er deutschen Jugendlichen das Unternehmertum näher „Wir bewegen uns zwar nicht dahin, dass nur lauter 25-Jährige Verantwortung übernehmen“, sagt er. „Führungskräfte werden aber eindeutig jünger.“ Viele Gründer, die heute Start-ups leiteten, seien Anfang 30 und führten ältere Mitarbeiter. Ein Trend, der langsam auch die großen Konzerne erreiche.
Denn junge Mitarbeiter, sagt Schwiezer, hätten für Unternehmen viele Vorzüge. Sie stünden für eine hohe Digitalkompetenz, brächten oft innovative Ideen mit und hätten ein gutes Verständnis von der modernen Arbeitswelt. Während früher eher Alter und Berufserfahrung den Weg in eine Führungsposition ebneten, ist heute mehr die aktuelle Leistung und vor allem das Weiterentwicklungspotenzial junger Talente ausschlaggebend. Hinzu kommt der demografische Wandel, der es noch mal wahrscheinlicher macht, dass der Chef jünger ist als das restliche Team. In den kommenden Jahren gehen Millionen von Arbeitnehmern und damit auch viele Führungskräfte in Rente. Es braucht folglich junge Mitarbeiter, die den Posten übernehmen.
Unterschiedliche Erwartungshaltungen
Alles rosig also? Ganz so leicht ist es dann doch nicht. Denn Herausforderungen gibt es einige, wenn Generationen aufeinanderprallen. Rüdiger Maas ist Diplom-Psychologe und Leiter des Instituts für Generationenforschung in Augsburg. Er sagt: "Ein Boomer ist oft am Ende seines Berufslebens und ein Zler am Anfang." Während die einen nach dem Zweiten Weltkrieg geboren seien und sich im Arbeitsleben hätten durchboxen müssen, könnten sich um die Jahrtausendwende Geborene ihre Jobs aussuchen. Bereits heute finden sich laut dem Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung für 530.000 offene Stellen keine entsprechend qualifizierten Bewerber. Das beschert der Generation Z eine enorme Marktkraft, die sie auch einfordert.
"Man steigt heute auf einer anderen Flughöhe ein", sagt Generationenforscher Maas. Das führe zu unterschiedlichen Erwartungshaltungen. Die einen sind noch immer vom Leistungsprimat geprägt, die anderen wollen Flexibilität und dass sich ihre Arbeit an ihr Privatleben anpasst – nicht umgekehrt. Ältere Generationen wie Babyboomer, da sind sich Experten einig, haben viel Erfahrung und Fachwissen, tun sich aber manchmal schwer mit Veränderungen, die zwangsläufig stattfinden, etwa der Digitalisierung von Arbeitsprozessen oder dem Vormarsch von Remote Work. Mitarbeiter aus den Generationen Z und Y sind für Transformation zwar offener, aber dafür unerfahrener.
"Trifft eine junge Führungskraft auf einen älteren Mitarbeiter, sind für die Jungen heute die Erfahrungswerte der Älteren nicht mehr so relevant, wie es früher einmal war", sagt Maas. Das könne mitunter kränken, da viele stolz auf ihre Erfahrungen sind und damit hadern, dass nun junge Kollegen kommen, die dies nicht mehr für sich nutzen wollen.
Schwächen kennen, Stärken nutzen
Konflikte, die auch Timo Müller gut kennt. Der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler ist Leiter des IKuF, des Instituts für Konfliktmanagement und Führungskommunikation in Köln. Seit mehr als 20 Jahren berät er Führungskräfte in diesem Bereich. Müller sagt: Um Mitarbeiter verschiedener Altersklassen in einem Team erfolgreich zu managen, müssten Chefs die Stärken und Schwächen der einzelnen Generationen kennen – und auf diese eingehen.
"Junge Führungskräfte sollten nicht von sich selbst ausgehen", sagt der Experte. Vielmehr sei es wichtig, älteren Mitarbeitern zuzuhören und ihre Erfahrung wertzuschätzen. Dazu gehöre auch, nicht jedes selbst erdachte Vorgehen mit aller Macht durchzusetzen. "Veränderungen sollten behutsam angegangen werden, um Unzufriedenheit im Team zu vermeiden", sagt Müller. "Das braucht Vertrauensarbeit und viel Zeit."
Ein einfaches Beispiel sei das Siezen und Duzen. Viele junge Führungskräfte legten Wert auf Augenhöhe – und duzten Teammitglieder automatisch. "Für eine Mitarbeiterin, die ihren Vorgesetzten seit Jahrzehnten siezte, ist dies aber ungewohnt bis verwirrend", sagt Müller.
Auch die 26-jährige Zoe Nogai beschäftigt sich intensiv mit den Eigenheiten verschiedener Generationen, seit sie ihr Team übernommen hat. Fragen, die sie sich dabei stellt: Was hat sie selbst geprägt, was ihre Kollegen? Was motiviert die unterschiedlichen Personen, was treibt sie selbst an? Wie möchte ihr Team arbeiten und wie stellt sie selbst sich einen optimalen Joballtag vor? "Das war sehr hilfreich für mich, um zu verstehen, warum ich manchmal gegen geschlossene Türen renne, während sich andere von selbst öffnen."
Stellen sich alle aufeinander ein, kann ein Altersmix im Team viele Vorteile haben. Dieser Meinung ist zumindest Jannis Johannmeier, Chef der Bielefelder Kommunikationsagentur The Trailblazers. Vor knapp zwei Jahren heuerte Andreas Grafemeyer dort an – zuvor war er Pressechef beim internationalen Medienkonzern Bertelsmann.
Der 57-Jährige wechselte damit nicht nur von einem Konzern in ein Start-up, er entschied sich auch für einen Chef, der 24 Jahre jünger ist als er. "Viele Menschen in meinem Umfeld haben mir von dem Schritt abgeraten", sagt Grafemeyer. "Sie dachten, dass ich in einem großen und etablierten Unternehmen besser aufgehoben bin."
Heute ist Grafemeyer froh, dass er nicht auf diese Menschen gehört hat. Natürlich sei der neue Job eine Umstellung gewesen. "Ich habe seitdem aber viel gelernt", sagt er. Früher sei es eher darauf angekommen, sich nach allen Seiten abzustimmen. Johannmeier hingegen gewähre ihm große unternehmerische Freiheit. "Ich kann arbeiten, wann, wo und wie ich will", sagt Grafemeyer. "Das ist erfrischend und gibt Energie." Chef Johannmeier wiederum sagt, er profitiere von der großen Erfahrung des 57-Jährigen. Unabhängig vom Thema wisse Grafemeyer immer einen Rat.
Ein Faktor, der die Zusammenarbeit zwischen den Generationen erleichtere, seien die flachen Hierarchien bei den Trailblazers. "Wir haben hier kein Rollendenken", sagt Johannmeier. Jeder könne Ideen einbringen, jeder eigenverantwortlich arbeiten. Das sei auch der Grund, wirft Grafemeyer ein, warum er sich nicht wie der Älteste im Team fühle. Man arbeite auf ein gemeinsames Ziel hin, das Alter der Beteiligten sei dabei egal. "Das ist auch eine Mindsetfrage", sagt Grafemeyer. "Ist jemand über 50 neugierig, offen und sich nicht zu schade, seine Reisekostenabrechnung nach 30 Berufsjahren wieder selbst zu machen?" Wenn ja, dann sei eine Entscheidung wie seine die richtige.
Genau wie Jannis Johannmeier ist auch die 26-jährige Zoe Nogai dankbar, ein Team zu führen, in dem viele verschiedene Generationen vertreten sind. "Ich profitiere jeden Tag von der Erfahrung der Mitarbeiter in meinem Team", sagt sie. Streitereien könnten immer entstehen – auch ohne Altersunterschiede. Am wichtigsten sei, dass ein Chef es schaffe, alle Teammitglieder auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören. Das müsse jede Führungskraft lernen – unabhängig davon, ob sie älter oder jünger als ihre Mitarbeiter sei.
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