Die Karrierefrage: Was bringt mir Zeit im Ausland?
- Birgitta vom Lehn
Schüler, Studenten und junge Berufstätige fragen sich, ob sie Zeit im Ausland verbringen sollten. Was sie dabei beachten sollten und was die Entscheidung leichter macht.
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Michael Frischbier, 52, scheint nichts aus der Ruhe zu bringen. Entspannt plaudert er über eine Karriere, die kein bisschen entspannt klingt. Gleich nach dem Abitur heuerte er beim britischen Mineralöl-Konzern BP an und begann dort ein duales Studium zum Betriebswirt. 2011 verschlug es ihn dank eines konzerneigenen Nachwuchsförderprogramms an den Hauptsitz London - geplant war dort eigentlich nur ein zwei Jahre langer Auslandsaufenthalt, tatsächlich wurden daraus ganze neun Jahre.
Frischbier nahm damals seine Familie - die Ehefrau und zwei Kinder im Alter von vier und acht Jahren - mit nach London. "Ich fand das Ausland schon immer attraktiv, bin interessiert an fremden Ländern und Kulturen. Die Möglichkeit, ins Ausland zu gehen, war aber auch damals schon nicht so leicht, wie man sich das heute vorstellt, ich musste mich mehrfach bewerben." Als es klappte waren sich Frischbier und seine Frau schnell einig, dem Ruf ins Ausland zu folgen.
Nach fünf Jahren in London ging es für die Familie gleich für vier Jahre weiter nach Mexiko, bevor sie im Corona-Jahr 2020 an den BP-Standort Hamburg zurückkehrte. "Unsere Kinder sind mittlerweile 17 und 21 Jahre alt, haben englische, amerikanische und internationale Schulen besucht und sind wirklich 'globale Kinder'", sagt Frischbier und ist darauf sichtlich auch ein bisschen stolz. Seit 31 Jahren ist er nun bei BP tätig, seit drei Jahren leitet er das operative Tankstellengeschäft von Aral in Deutschland.
"Gern gesehen"
Fühlte Frischbier sich bei seinem Arbeitgeber eigentlich verpflichtet, ins Ausland zu gehen? "Nein, ich hatte bei BP nie das Gefühl, den Auslandaufenthalt zu brauchen, auch wenn er gern gesehen wird", versichert er. "Aber von der Erfahrung, andere Märkte kennengelernt und neue Netzwerke erschlossen zu haben, profitiere ich beruflich doch sehr und natürlich auch persönlich."
Der berufliche Schritt ins Ausland, den laut einer aktuellen Studie der Stellenplattform Stepstone in Zusammenarbeit mit der Boston Consulting Group und The Network allerdings immer weniger Deutsche anstreben, beeinflusst auf jeden Fall positiv die Karriere. "Die aktuelle Arbeitsmarktsituation für Ingenieurinnen und Ingenieure ist zwar hervorragend. Trotzdem hebt man sich mit Auslandserfahrungen von möglicher Konkurrenz für angestrebte Stellen ab", erklärt beispielsweise Ingo Rauhut, Geschäftsführer Fachbeirat Beruf & Arbeitsmarkt / Ingenieursausbildung beim Verein Deutscher Ingenieure e.V. (VDI). Gerade vor dem Hintergrund der starken Internationalisierung vieler deutscher Ingenieurarbeitgeber könne sich ein Auslandsaufenthalt in der Karriereplanung "positiv auswirken", auch wenn er nicht notwendig sei. Man erwerbe dort zum Beispiel interkulturelle Kompetenzen, Selbstorganisation und "die Fähigkeit, über den rein deutschen Tellerrand blicken zu können", sagt der VDI-Geschäftsführer.
Auslandsaufenthalte während der Schulzeit oder des Studiums tragen seinen Worten zufolge "ebenfalls positiv zum überfachlichen Kompetenzerwerb bei und sind damit positiv zu bewerten". Kombiniert mit Arbeitserfahrungen, die einen Bezug zum eigenen fachlichen Fokus haben, würden sie hier dann sogar "besonders positiv bewertet".
"Unbezahlbare Erfahrungen"
Auch Judith Eggers, Profilerin und Coach in Winsen / Aller, ist überzeugt: "Der Schritt ins Ausland lohnt sich immer, allein wegen der unbezahlbaren Erfahrungen. Man lernt eine andere Arbeitskultur kennen. Leistung wird dort in der Regel noch belohnt. Trotzdem muss jeder diese Entscheidung selbst treffen, man sollte sich nicht dazu drängen lassen. Auch gegen die eigene Familie kann und darf man sie nicht treffen, es sollten schon alle mit ins Boot geholt werden, sonst funktioniert es nicht." Genau wie der VDI-Geschäftsführer wertet die Fachfrau den Vorteil bei Bewerbungen gegenüber Konkurrenten ohne Auslandserfahrung, allein schon wegen des Sprachvorteils. "Es handelt sich bei einem Auslandeinsatz immer um einen langfristigen Karriere-Booster. Kurzfristig merkt man das nicht immer."
Auch wenn es meist nicht offen kommuniziert werde: die Bereitschaft, ins Ausland zu gehen, werde von großen Firmen oft einfach erwartet, sagt Eggers. Allerdings sollte dann auch für die Rückkehr einiges geregelt sein, damit man zumindest keinen Rückschritt erfahre. Sinnvoll sei daher immer, im Unternehmen ein Netzwerk zum Stammsitz zu pflegen. "Man sollte bestimmte Fäden immer in der Hand behalten", rät Eggers. Auch das regelmäßige Studium von Firmenzeitungen findet sie sinnvoll. Der "Draht" zu den "alten" Kollegen sollte weiterlaufen.
Persönlichkeitsbildung im Zentrum
Für junge Menschen findet Eggers es auf jeden Fall sinnvoll, ins Ausland zu gehen, "auch wenn es nicht gleich der Super-Booster ist". Der Beruf sei dabei weniger wichtig als die Persönlichkeit. Mediziner, Controller, Ingenieure - alle profitieren davon in ihrer Berufslaufbahn und auch persönlich. Würde sie auch jemandem von dem Auslandseinsatz abraten? "Ja, wer extrem introvertiert ist und Angst davor hat, dem würde ich raten, die Finger davon zu lassen. Wer keine Neugier verspürt, dem droht in der Fremde das Vereinsamungsrisiko.
Auch die Wahl des Landes spiele eine wichtige Rolle, stellt Eggers klar. Wer klimatisch etwa mit Dunkelheit und Kälte nicht gut klarkomme, sollte besser einen Bogen um Skandinavien machen. Und wer mit China ein Problem habe, sollte nicht dorthin gehen. "Auslandserfahrung ist in einem großen Konzern zwar ein Must-have, aber man sollte dem Arbeitgeber in jedem Fall gut begründen können, warum man in ein bestimmtes Land lieber nicht gehen möchte. Es muss dafür dann aber schon gute Gründe geben", sagt Eggers.
Michael Frischbier möchte nun erst einmal in seiner Heimatstadt Hamburg bleiben, auch um sich besser um seine hochbetagten Eltern kümmern zu können. Und doch fügt er nach kurzem Zögern schmunzelnd hinzu: "Aber ich könnte mir vorstellen, auch noch mal ins Ausland zu gehen: nach Asien etwa, denn da habe ich noch nicht gelebt."
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