Unsichere Bedingungen: Wer will noch in die Wissenschaft?
- Tessniem Kadiri und Tom Konjer
Die Wirtschaft lockt mit hohen Gehältern, an der Uni herrschen geringe Planbarkeit und schlechte Work-Life-Balance. Vier junge Menschen berichten vom Für und Wider einer Forscherkarriere.
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"Ich liebe die Forschung"
Nora Leidinger ist Ende 20 - und arbeitet trotzdem schon als Dozentin. Im Master bekam sie ein Angebot für einen Job als studentische Assistenz; so konnte sie schon mit Anfang 20 ihre ersten Vorlesungen halten und Seminare vorbereiten. Mittlerweile hat sie ihren Master in Kunst-, Kultur- und Medienwissenschaften in der Tasche und einen Drei-Jahres-Vertrag als Dozentin in den Niederlanden. Drei Jahre, weil befristete Arbeitsverträge dort maximal drei Jahren laufen. Dann können sie noch zweimal verlängert werden. Danach müsste die Uni einen unbefristeten Vertrag vergeben.
Den kriegen nur wenige, meint Leidinger, manche Leute blieben deswegen lange auf unbefristeten Stellen kleben. Dazu komme, dass die Verträge oft unrealistisch formuliert seien. "Es ist wirklich nicht einfach. Auf allen Ebenen merkt man, dass die Leute extrem überarbeitet sind." Denn eigentlich müssten Mitarbeiter viel mehr arbeiten, als vertraglich festgehalten ist. "Zwischen November und Januar arbeite ich mehr als Vollzeit. 26 Stunden stehe ich nur vor Studierenden - dazu kommt noch die Vorbereitung und Nachbereitung, ich muss zu Meetings gehen und E-Mails beantworten." Außerdem arbeitet sie nebenbei noch an ihrer Forschung. Das sei extrem anstrengend mit zum Teil nächtlichen Arbeitsphasen.
Frust bereiten ihr darüber hinaus finanzielle Themen. Ein Beispiel seien Konferenzen. Die gehören zum erfolgreichen Arbeiten in der Forschung häufig dazu. Die Teilnahme an solchen Veranstaltungen, die auf der ganzen Welt stattfinden können, verursache aber hohe Reise- und Unterkunftskosten. Bezahlt bekomme man das lange nicht, sagt Leidinger. Erst später, als Professorin. Deswegen müssen junge Forscherinnen und Forscher zuweilen schon früh ins Minus gehen. "Man muss sich also fragen: Kann ich mir das leisten?" Leidinger überlegt oft: "Ist mir die Forschung so viel wert, dass ich alles dafür aufgeben würde?" Denn eine gesunde Work-Life-Balance sei in ihrem arbeitsintensiven Umfeld schwer zu erreichen. Trotz Herausforderungen möchte sie an ihrem Karriereweg erst einmal festhalten: "Ich liebe die Forschung!"
Nora Leidinger unterrichtet und forscht an der Universität Groningen, unter anderem zu Themen der Vielfalt und Inklusion in der Kulturindustrie. Derzeit bewirbt sie sich auf eine Stelle als Doktorandin.
"Ich muss meinen Eltern helfen"
Als Samet Besyaprak noch die Hauptschule besuchte, hätte er sich nie träumen lassen, dass er mal studieren würde. Dann kam es anders: Er konnte aufgrund seiner guten Leistungen sein Abitur nachholen. Heute studiert er Erziehungswissenschaften - unter anderem, weil er während seines Abiturs durch ein Förderprogramm dazu motiviert wurde. Er habe sich auf seinem Weg viel erkämpfen müssen.
In Zukunft möchte er am liebsten wissenschaftlich zu Bildungsthemen forschen, aber die Arbeit in der Forschung sei ein Privileg und nicht für jeden erschwinglich. "Promotionsplätze werden für 50 Prozent Arbeitszeit ausgeschrieben und bezahlt, erfordern jedoch 100 Prozent Einsatz." Besyaprak sagt, das sei vor allem für Menschen ohne finanzielle Rückendeckung eine Hürde. Wer durch sein Elternhaus keine finanzielle Sicherheit habe, komme schnell an seine Grenzen. Seine Eltern haben nicht studiert und sind als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland gekommen. "Meine Eltern können mir nicht helfen - ich muss meinen Eltern helfen." Eine Krebsdiagnose bei seiner Mutter bringt jetzt zusätzliche Verantwortung für ihn. Sein geplantes Auslandssemestermusste er absagen, da seine Familie ihn braucht.
Außerdem ist er besorgt, dass seine mentale Gesundheit unter der Arbeit in der Forschung leiden könnte. Er spürt den starken Publikationsdruck und den Wettbewerb. "Man kann nicht ganz zur Ruhe kommen." Trotz der vielen Hürden gibt sich Besyaprak entschlossen. Er will nicht nur Veränderung für sich selbst, sondern auch für andere anstoßen - ob er in der Wissenschaft bleiben will, hat er aber noch nicht entschieden, das hänge vor allem von anderen ab und liege nicht nur in seiner Hand: "Die Frage ist nicht, ob ich in die Forschung möchte, sondern ob ich in die Forschung kann."
Samet Besyaprak ist 23 Jahre alt und studiert Erziehungswissenschaften im 3. Fachsemester an der Universität Duisburg-Essen.
"Man ist am Puls der Zeit"
"Kannst du dir vorstellen, wie faszinierend es ist, eine Zelle dabei zu beobachten, wie sie sich in Echtzeit bewegt?", fragt Sargon Gross-Thebing. Der Vater zweier Kinder hat in molekularer Biomedizin promoviert und bis Ende 2023 in der Forschung in Cambridge gearbeitet. Vor allem die Flexibilität und Freiheit im Job seien ein großer Vorteil: "Wenn eins meiner Kinder krank war, konnte ich meine Experimente entspannt verschieben. Niemanden juckt, ob ich das am Montag, Dienstag oder erst am Wochenende mache." In Cambridge hat Gross-Thebing vor allem andere Wissenschaftler dabei angeleitet, für ihre Forschung zu mikroskopieren. Seine Frau arbeitet auch als Wissenschaftlerin in Cambridge. "In der Wissenschaft ist man am Puls der Zeit, das ist ein Privileg", sagt er.
Trotzdem ist er Anfang Januar in eine Unternehmensberatung gewechselt. Jetzt berät er große Pharmakonzerne, wie Bayer oder Biontech. Gerade als Familienvater sei ihm finanzielle Sicherheit wichtig. Und die sei in der Wissenschaft oft einfach nicht gegeben. Mit seiner Frau habe er es zwar knapp vier Jahre lang geschafft, genug zum Leben zu erwirtschaften. "Es ist aber jetzt leichter, als Familie durch den Alltag zu gehen." Es sei nicht unüblich, als Doktorand auch ohne Geld weiterforschen zu müssen, falls die Finanzierung ausläuft. Auch seine Frau muss sich bald wieder darum kümmern, weiter finanziert zu werden. Und die Gelder in der Wissenschaft sind knapp. Um manche Forschungsstipendien bemühten sich Tausende Bewerber. Seine Entscheidung für eine Stelle außerhalb des Wissenschaftsbetriebs hat er sich nicht leicht gemacht. Doch ein privates Unternehmen halte er für deutlich sicherer.
Sargon Gross-Thebing ist 36 Jahre alt, Doktor der molekularen Biomedizin und arbeitet heute für eine Unternehmensberatung.
"Wer tut sich das freiwillig an?"
Pauline Brinkmann studiert Jura und hat das erste Staatsexamen hinter sich. In der Rechtswissenschaft hat die 25-Jährige noch nicht gearbeitet. Trotz der schwierigen Arbeitsbedingungen träumt die Studentin von einer Professur: "Irgendwann will ich das Recht gestalten dürfen und dabei im Austausch mit Studierenden sein." Das deutsche Recht sei jahrhundertelang von Männern geformt worden. Brinkmann möchte sich daher auch akademisch für verbesserte Frauenrechte einsetzen.
In vielen anderen Studiengängen wäre eine Karriere in der Wissenschaft naheliegend, in Jura sei das aber anders, sagt Brinkmann. Einige ihrer Kommilitonen arbeiten schon als studentische Hilfskräfte an ihrem Lehrstuhl, die ungewissen Jobperspektiven in der Forschung würden sie aber fast alle abschrecken. Auch müsse man sehr gute Noten erzielen, um eine Chance auf gute Jobs zu haben. "Und wenn man diese Noten hat und es mit ihnen ein Leichtes ist, für 150.000 Euro im Jahr in einer Großkanzlei anzufangen - wer tut sich da freiwillig an, sich unterbezahlt von einem befristeten Vertrag zum nächsten zu hangeln?"
Nur wenige - doch Brinkmann träumt davon. Auch wenn sie glaubt, dass Ambition und Können allein nicht ausreichen, um mit einem Job in der Forschung planen zu können; die Arbeit in der Wissenschaft müsse man sich auch leisten können. Finanzielle Unsicherheit lasse sich etwa selten mit Familienplanung kombinieren. "Ich traue mir das aber zu, wenn ich nur mich selbst finanzieren muss. Das bringt mich von meinem Traum nicht ab."
Pauline Brinkmann ist 25 Jahre alt und hat das erste Staatsexamen in Jura an der Universität Bonn hinter sich. Wenn alles gut geht, startet sie im Sommer in eine Promotion.
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