Die Karrierefrage: Wie schütze ich mich davor, dass mein Chef mich ausnutzt?

Autor*innen
Dina Slanjankic
Manager mit Megafon brüllt Mitarbeiter an

Gerade die loyalen Mitarbeiter, die gern noch die Extrameile gehen, werden von ihren Chefs häufig nach noch mehr Einsatz gefragt. Ein Teufelskreis. Aber es gibt Auswege.

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Hier eine Stunde länger, da zwei Aufträge mehr. Die Papiere türmen sich auf dem Schreibtisch, das E-Mail-Postfach piept pausenlos, und draußen wird es immer dunkler. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat errechnet: Im Jahr 2022 haben die Deutschen rund 1,3 Milliarden Überstunden angesammelt. Das entspricht rund 148.000 Jahren. Mehr als die Hälfte davon blieben unbezahlt. Wem dann auch noch kurzfristig der Urlaub gestrichen wird, der fühlt sich irgendwann ausgenutzt. Eine amerikanische Studie aus dem Jahr 2023 zeigt: Das trifft besonders die loyalen Mitarbeiter. DennFührungskräftewittern, dass sie bereit sind, mehr zu arbeiten. Wer dann den Mehranforderungen nachkommt, festigt das Bild des loyalen Mitarbeiters weiter und das Spiel geht von vorne los. Ein "Teufelskreis", sagen die Studienautoren. Warum Angestellte sich immer wieder ausnutzen lassen und wie sie aus dem Teufelskreis ausbrechen. 

Zunächst sollten Angestellte für sich prüfen: Wie viel mehr arbeite ich eigentlich im Vergleich zu dem, was im Arbeitsvertrag und in der Jobbeschreibung geregelt ist? Wer ständig neuen Kaffee besorgen muss oder spontan zur Toilettenfachkraft in Teilzeit wird, sollte noch einmal nachschauen, was eigentlich seine definierten Tätigkeiten sind. Oft steht "Barista" nämlich nicht in der Beschreibung. Werden dann noch festgelegte Pausen oder Urlaubsregelungen nicht eingehalten, häufen sich die Überstunden und es gibt keine Möglichkeit, sie abzubauen, dann liegt die Vermutung nahe: Ich werde ausgenutzt. Das Problem: Viele wollen sich das nicht eingestehen. "Menschen sind Gewohnheitstiere. Deshalb bleiben wir manchmal in Arbeitsverhältnissen, die uns schaden", sagt Sebastian Jakobi. Er ist Arbeitspsychologe und hat schon oft erlebt, dass Arbeitnehmer nichts an ihrer Situation ändern wollen, weil sie unsicher und in alltäglichen Routinen gefangen sind. "Vielleicht will der Betroffene zum Beispiel sein gutes Verhältnis mit der Führungskraft nicht riskieren", erläutert Jakobi.

Kaum noch Zeit fürs Privatleben

Ein Hinweis für Angestellte, dass sie womöglich ausgenutzt werden: Sie haben kaum noch Zeit für ihr Privatleben. "Für mich persönlich habe ich meine eigene Work-Life-Balance", erklärt Psychologe Jakobi. "Wenn ich feststelle, dass andere Lebensbereiche unter meinem Arbeitseinsatz leiden, dann ist es ein schlechtes Zeichen." Sitzt auch der Chef ständig bis spät in den Abend im Büro und verlangt von seinen Mitarbeitenden das gleiche, vermittelt das: Mehrarbeit ist ganz normal, und dann sind das klare Warnzeichen, sagt Jakobi.

Der zweite Hinweis: Jemand ist besonders motiviert und leistet erkennbar mehr als andere, bekommt aber dasselbe Gehalt und dieselbe Anerkennung. "Man muss sich fragen: Was bringe ich denn hier in den Betrieb ein, und was bekomme ich dafür?", sagt Jakobi. Spätestens, wenn Vorgesetzte offen aussprechen, dass der Angestellte froh sein könne, den Job zu haben - und dann unfaire Forderungen stellen, sei klar: hier herrscht ein Machtungleichgewicht.

Das Problem selbst angehen

In einem ersten Schritt sollten Betroffene sich mit ihren Kollegen austauschen. Oft genug finden sich hier Verbündete. "Denn wo ein Mensch unfair behandelt wird, geht es wahrscheinlich auch anderen so", sagt Arbeitspsychologe Jakobi. Dann kann sich die Gruppe ein gemeinsames Vorgehen überlegen. Hat das Unternehmen einen Betriebsrat, könnte dieser eine mögliche Anlaufstelle für Betroffene sein. Manche Angestellte stellen vielleicht aber fest: Es geht nur mir so. Ist das der Fall, lohnt es sich, über die eigene Arbeitseinstellung nachzudenken. Es gebe Menschen, die nur schwer nein sagen können, sagt Jakobi. Sie strahlen eine gewisse Bereitschaft zur Mehrarbeit aus. Überflüssige Aufträge landen häufiger bei ihnen auf dem Tisch. Wer nie Überstunden ablehnt oder im Urlaub stets erreichbar ist, signalisiert sozusagen unfreiwillig: Ich bin stets bereit und gehe immer die Extra-Meile. Jakobi empfiehlt daher als ersten Schritt, das eigene Verhalten zu überdenken. "Das sind wichtige Reflexionsansätze", sagt der Psychologe. Auch ein Coaching kann sinnvoll sein, sofern die betroffene Person es sich leisten kann. Das hilft, sich selbst besser wahrzunehmen und eventuell unterbewusste Verhaltensmuster zu erkennen. Aus taktischen Gründen von Anfang an nur mit halber Kraft zu arbeiten, damit man nicht zur Zielscheibe wird, ist wahrscheinlich keine Lösung, sagt Jakobi. "Das ist ein zweischneidiges Schwert. Wenn ich meinen Arbeitseifer reduziere, mache ich vielleicht keine gute Arbeit mehr. Das befriedigt auf Dauer auch nicht."

Die eigenen Rechte kennen

Ist jedoch ersichtlich, dass es nicht an eigenen Verhaltensmustern, sondern an der Führungskraft liegt, sollten Betroffene das Gespräch mit ihr suchen. "Zunächst kann man darüber sprechen, was nicht gut läuft und wo man sich Verbesserungen wünscht", sagt Jakobi. Klare Kommunikation und gute Vorbereitung sind dabei das A und O. Ideal ist es, wenn Angestellte vorher ihren Marktwert testen und vielleicht schon erste Gespräche mit anderen Arbeitgebern geführt haben. "Wenn man weiß, dass man theoretisch Alternativen hat, geht man mit mehr Rückgrat ins Gespräch", sagt der Psychologe.

Wenn all das nichts bewirkt, bleibt immer noch der Rechtsweg. "Die Arbeitnehmerschutzrechte bieten eine Reihe von Möglichkeiten", sagt Christine Chalupa. Sie ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht und hat schon beide Seiten vertreten: Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer. Sie weiß: Es ist vor allem "Unwissenheit" über die eigenen Rechte, die dazu führt, dass Betroffene sich weiter ausnutzen lassen. Wer ständig unbezahlte Zusatzleistungen erbringt, kann sich nach deutschem Arbeitsrecht irgendwann weigern weiterzuarbeiten oder den Lohn dafür einklagen. Weigert sich der Chef, dann können Angestellte ihn sogar abmahnen, sagt die Rechtsanwältin.

Klage als letzter Ausweg

Doch bevor es so weit kommt, können Arbeitnehmer immer noch an das gute Gewissen der Führungskraft appellieren und sie zunächst nur freundlich auf die Rechtswidrigkeiten hinweisen. Mögliche Argumente laut Rechtsanwältin Chalupa: "Ich würde hier gerne auf meine Rechte hinweisen." Oder "Hier hätte ich rechtlich gesehen einen anderen Anspruch." Wenn Angestellte solche Töne anschlagen, würden Arbeitgeber meist hellhörig. "Dann lenken sie vielleicht schon ein," sagt die Rechtsanwältin. Eine Klage sollte stets der letzte Ausweg bleiben. Man will schließlich in den meisten Fällen noch weiter angestellt bleiben - nur eben zu besseren Bedingungen. "Jemanden zu verklagen, das zerstört schon einiges an Vertrauen", sagt Chalupa.

Grundsätzlich gilt aus ihrer Sicht: Angestellte sollten sich ihren Arbeitsvertrag immer genau anschauen, am besten gemeinsam mit einem Anwalt - und möglichst bevor sie einen neuen Job antreten. Manchmal enthalten solche Verträge nämlich Klauseln, die rechtlich ungültig sind, später dann aber als Rechtfertigung dienen, Angestellte auszunutzen. "Wenn dort drinsteht, 'ist alles mit dem Gehalt abgegolten' oder ,die gesamte Arbeitskraft ist einzubringen', und nicht die konkrete Stundenzahl, dann sind das Warnhinweise, dass da wahrscheinlich nicht alles mit rechten Dingen zugehen wird", sagt Chalupa.

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