Karrierechancen: Wovon beruflicher Erfolg abhängt
- Felix Schwarz
Eigene Anstrengung ist nicht alles, da sind sich Fachleute einig. Worauf es noch ankommt – und wie man es in die Topetagen der deutschen Wirtschaft schafft.
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Du musst dich nur hart genug anstrengen, dann erreichst du deine Ziele – ein hierzulande weit verbreiteter Glaubenssatz mit enormer Bedeutung: 85 Prozent der Deutschen waren laut dem Ifo-Bildungsbarometer 2019 überzeugt, dass der erreichte Bildungsabschluss in Deutschland eher oder hauptsächlich auf eigene Anstrengung zurückgeht. Umgekehrt würde das bedeuten: Wer scheitert, ist selbst schuld. Doch stimmt das? Hängt beruflicher Erfolg wirklich vor allem von der eigenen Anstrengung ab?
Allein über die Frage, was Erfolg eigentlich ist, ließe sich stundenlang diskutieren. Denn was ein Mensch unter Erfolg versteht, ist individuell: Für die einen bedeutet es, den Traumjob zu ergattern. Für andere ist es wichtig, möglichst schnell auf der Karriereleiter nach oben zu klettern und ein hohes Einkommen zu erzielen. Wieder andere wollen auf solche Wünsche bewusst verzichten und streben in erster Linie nach Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung oder Entschleunigung. Auch den Wert der Arbeit an sich oder die Arbeitszeit zu minimieren ist für einige erstrebenswert.
Unabhängig davon, wie Menschen Erfolg definieren, drängt sich die Frage auf: Wie erreiche ich mein Ziel? Dieter Frey ist Psychologieprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Wer glaubt, den passenden Beruf gefunden zu haben, muss sich laut dem Sozialpsychologen gegen andere durchsetzen – also mit Konkurrenz, Rückschlägen und Widerständen klarkommen. Dafür brauche es ein gewisses Durchhaltevermögen: "Man muss sich streng genommen etwas unentbehrlich machen und in Wettbewerbssituationen, die wir alle mit aufsteigender Hierarchie haben, besser sein als andere", sagt er. Ich gegen den Rest: Ist Erfolg also vor allem eine individuelle Angelegenheit?
Extravertierte Führungskräfte sind erfolgreicher
Frey winkt ab: "Dass nur die eigene Anstrengung zählt, ist eine Illusion". Mindestens genauso wichtig für den beruflichen Erfolg sei ein Netzwerk von mindestens zwei Mentoren, die einen fördern: Wer kann mich wie unterstützen? Mit welcher Strategie? Wie sieht die Zukunft in ein, zwei, drei Jahren aus? Wo kann ich mich noch breiter aufstellen? Wichtige Komponenten für den Erfolg seien außerdem Glück und Zufall – vor allem auf dem Arbeitsmarkt. Manchmal kann sich jemand noch so sehr anstrengen: Wenn es einem Unternehmen schlecht geht, rückt eine Einstellung oder die Verlängerung eines befristeten Vertrags in weite Ferne.
Zufällig ist auch das Geburtsland: Laut dem US-Ökonomen Branko Milanovic lassen sich bis zu 60 Prozent der individuellen Einkommensunterschiede damit erklären, wo jemand geboren ist. Für ungefähr 20 Prozent sei das Vermögen der Eltern entscheidend. Im Umkehrschluss bedeutet das dem Forscher zufolge: Nur etwa 20 Prozent unseres Einkommens hängen global gesehen von unserer eigenen Arbeit und unserem Fleiß ab.
Für Frey sind noch weitere Faktoren entscheidend. Nicht nur, aber vor allem in Führungspositionen kommt es für ihn auf den Umgang mit Menschen an – also auf emotionale Intelligenz, Stabilität, Selbstreflexion und die Fähigkeit, Brücken zu bauen. Dabei spielen auch genetische Veranlagungen eine wichtige Rolle. Laut dem Professor hat Introversion respektive Extraversion eine starke genetische Komponente: "Führungskräfte setzen sich eher durch, wenn sie extravertiert sind, weil es immer auch mit der Interaktion, Kommunikation und Netzwerken zu tun hat."
An Selbstbewusstsein darf es nicht fehlen
Soziale Faktoren seien oft wichtiger als nur die fachliche Kompetenz im Bewerbungsgespräch: "Deshalb sagt man sehr oft, wir wollen nicht den Besten, sondern den Geeignetsten." Auch wer es versteht, seine Leistung sichtbar zu machen, habe gute Chancen auf langfristigen Erfolg: "Wenn ich irgendwo nur im Büro sitze, sieht mich niemand." Für ihn spielt aber auch die soziale Herkunft eine große Rolle, weil sie viele Normen und Werte prägt: Wie benehme ich mich in gewissen Kreisen? Welche Kleidung trage ich? Welche Haltung nehme ich ein?
Genau das sieht Michael Hartmann als Schlüssel für den Weg in die Topetagen der deutschen Wirtschaft. Der mittlerweile emeritierte Soziologieprofessor beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Elitenforschung. Konkret ging er unter anderem der Frage nach, wer es in die Vorstände von Dax-Unternehmen schafft – und auch wie. Seine Antwort: Es kommt vor allem auf Selbstbewusstsein, Lockerheit, Souveränität und Optimismus an. All das fasst er unter dem Begriff Habitus zusammen. Dahinter verbergen sich die individuellen Wahrnehmungen, Vorlieben, Haltungen und Handlungen einer Person.
Was sich laut Hartmann über Jahrzehnte trotz zahlreicher Bildungsreformen kaum geändert hat: "Am Ende sind es überwiegend die Kinder aus überdurchschnittlich wohlhabenden Bürgerfamilien, die es ganz nach oben schaffen." Diese Kinder zeichne eine gewisse Selbstverständlichkeit aus: Sie haben kaum Zweifel daran, dass ihnen eine Topposition zusteht und dass sie diese auch erreichen können. Außerdem wüssten sie schon aus ihrem Elternhaus, wie man sich erfolgreich in gehobenen Schichten bewegt. Diese Lockerheit gehe vielen Kindern aus finanziell schwachen Verhältnissen oder Arbeiterfamilien oft ab: Sie zweifeln laut Hartmann öfter an ihren Fähigkeiten und hätten mehr Angst, Fehler zu machen. Das lasse sich häufig an ihrer Haltung beobachten: Sie machen sich Hartmann zufolge eher klein, treten seltener breitbeinig auf.
Resilienz als Schulfach
Zur Elite zählt er Menschen, die in der Lage sind, gesellschaftliche Entwicklungen maßgeblich zu beeinflussen. Und seinen Forschungsergebnissen zufolge stammen fast zwei Drittel der Elite aus den oberen vier Prozent der Bevölkerung. Er ist sicher: "Die Geschlossenheit der Elite ist eine Gefahr für die Demokratie", denn sie widerlege das Versprechen, dass es jeder nach oben schaffen könne, der sich nur hart genug anstrenge. "Die Privilegierten bleiben unter sich", sagt er.
So wichtig das Elternhaus auch aus der Sicht des Verhaltensökonomen Matthias Sutter ist: Es sei nicht allein bestimmend für das ganze Leben. "Natürlich hängen Geduld, Ausdauer und Optimismus vor allem von den Eltern ab", sagt der Direktor des Bonner Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern. Doch wer dabei Pech hatte, könne das später ausgleichen. Unabhängig von den Ausgangsbedingungen gilt für Sutter: "Am Ende kommt es immer auch auf Eigeninitiative und die Übernahme von Eigenverantwortung an." Das solle aber nicht bedeuten, dass es auf eine Person allein ankomme. Für beruflichen Erfolg sind nach seiner Einschätzung vor allem drei Faktoren entscheidend: die Intelligenz, das Einkommen und die Bildung der Eltern sowie Resilienz.
Worin Hartmann und Sutter weitgehend übereinstimmen: Sie sehen Resilienz, also Widerstandsfähigkeit, mit all ihren Facetten als Schlüssel an. Resilienz ist laut Sutter eng mit Geduld und Optimismus verbunden. Ohne den Glauben, ein Ziel praktisch erreichen zu können, und die Fähigkeit, auch nach einem Rückschlag daran festzuhalten, gehe es nicht. Was er zugleich betont: Wer ständig finanziell an seine Grenzen gerät, ist ungeduldiger und hat mehr Selbstzweifel. Wer also aus bildungsfernen und finanziell schwachen Familien komme, sei besonders auf die Schule angewiesen. Und hier sieht er Nachholbedarf: Resilienz sollte ein Schulfach werden, findet er – oder zumindest fester Bestandteil in möglichst vielen Fächern.
Ausgebremst von fehlender Gleichberechtigung
Doch wenn es vor allem auf Intelligenz, Einkommen und Bildung der Eltern sowie Resilienz ankommt: Wie lässt sich dann erklären, dass das Geschlecht, die Nationalität oder die Hautfarbe häufig noch so entscheidend sind? "Auch in unserer deutschen Gesellschaft bestehen immer noch zahlreiche Formen von Diskriminierung", sagt Thomas Rigotti, Psychologieprofessor an der Universität Mainz.
Ein Ali hat häufig schlechtere Chancen, überhaupt zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden, als ein Thomas. Und von Frauen werde immer noch oft erwartet, demütig, rücksichtsvoll und angepasst zu sein – was sich negativ auf ihre Durchsetzfähigkeit auswirken könne. "Wir haben in den vergangenen Jahren viele Fortschritte gemacht, aber von echter Gleichberechtigung sind wir noch weit entfernt."
Das sieht Corinna Kleinert, Soziologieprofessorin an der Universität Bamberg, ähnlich. Um überhaupt auf den Gedanken zu kommen, dass eine Führungsposition etwas sein könnte, sind aus ihrer Sicht gezielte Förderung und Vorbilder sehr wichtig. "Das gilt insbesondere für marginalisierte Gruppen, aus denen sich traditionell wenig Führungskräfte rekrutieren, weil diese sich die Fähigkeiten häufig selbst nicht zuschreiben", sagt Kleinert, die dazu auch Frauen zählt. Deren Chancen auf eine Führungsposition seien im Vergleich zu Männern immer noch geringer: "Kinder- und pflegebedingte Arbeitspausen und Teilzeitarbeit verringern die Chancen auf eine solche Stelle", sagt sie.
Wie misst sich Leistung?
Zudem werden laut Kleinert häufig lange Arbeitszeiten und die ungeteilte Aufmerksamkeit auf den Beruf vorausgesetzt. Ein Problem aus ihrer Sicht: Führungspositionen seien bis heute selten in Teilzeit möglich. Und: Trotz eines veränderten Führungsverständnisses hätten bei der Auswahl von Führungskräften nach wie vor eher männlich konnotierte Stereotype wie Agilität, Entscheidungsstärke, Risikofreudigkeit, Autorität und Aggressivität einen hohen Stellenwert. Dies sei auch ausschlaggebend dafür, ob sich Frauen überhaupt zutrauen, eine solche Position anzustreben.
Was die Soziologieprofessorin Heike Solga betont: Selbst wenn beruflicher Erfolg ausschließlich auf eigenen Fähigkeiten und Anstrengungen beruhen sollte, wäre er immer noch nicht unabhängig von der Herkunft, dem Geschlecht, der Hautfarbe oder der Nationalität. Denn es stelle sich immer die Frage, wie Leistung überhaupt gemessen werde. Schon Bildungsabschlüsse oder andere "zertifizierte" Leistungen – seien nicht unabhängig von diesen Faktoren, wie zahlreiche Studien zeigten.
Zudem sei auch Anstrengung nicht "neutral" gegenüber den erwähnten Faktoren: Wie hoch und wie unterschiedlich die Hürden mit einer anderen Hautfarbe, einer anderen Nationalität oder einem anderen Geschlecht wirklich sind, lasse sich ebenso kaum messen. Kleinert macht klar: "Ohne eigene Anstrengung kein beruflicher Erfolg, aber eigene Anstrengung ist längst nicht alles."
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