Energetische Menschen: So steigern Sie Ihr Energielevel
- Simone Kamhuber
Manche wuppen locker 40-Stunden-Woche, Haushalt, Sport und Selbstverwirklichung. Andere schaffen es gerade so aufs Sofa. Aber: Eine High-Energy-Person kann man werden.
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Man könnte meinen, der Tag mancher Menschen hat mehr als 24 Stunden. Chefinnen, die von früh bis spät arbeiten, am Wochenende Gletscher besteigen und in der Mittagspause für den Marathon trainieren. Eltern, die neben dem Job drei Kinder und den Haushalt managen und es nebenher schaffen, Oboe zu lernen und in der Kreisliga Badminton zu spielen. Bei anderen reicht die Kraft nach Feierabend gerade noch so für den Griff nach der Fernbedienung. Woher nehmen manche Menschen bloß ihre Energie? Und: Könnte man selbst zu so einer Power-Person werden, wenn man es irgendwie vom Sofa hoch schafft?
Energie, das ist ein ziemlich abstrakter Begriff, keine greifbare Größe. Es beschreibt die Fähigkeit eines Systems, Leistung zu erbringen. Und dabei scheint allein schon das Überleben eine kraftraubende Angelegenheit: Bis zu 75 Prozent der verfügbaren Körperenergie gehen beim Menschen für den Erhalt lebenswichtiger Funktionen drauf. Umso erstaunlicher ist es, wie viel manche aus den übrigen 25 Prozent rausholen. Und wirklich nur manche: Menschen unterscheiden sich darin, wie effizient Energie aufgenommen und verarbeitet wird und wie schnell sie ermüden (Plos One: Jiang et al., 2018, PDF). Das heißt allerdings nicht automatisch einmal Couch-Potato, immer Couch-Potato. Es gibt Faktoren, die das Energielevel beeinflussen – und einige hat man selbst in der Hand.
Mitochondrien sind Energiefabriken
Essen wird nicht umsonst als Energielieferant bezeichnet. Damit der Körper die Energie aus der Nahrung nutzen kann, muss sie umgewandelt werden. Die entscheidenden Prozesse dafür finden in den Mitochondrien statt, den Kraftwerken der menschlichen Zellen. Sie rekrutieren Triglyceride und Kreatinphosphat, zwei Energiespeicherstoffe aus der Nahrung, und verwandeln sie in einem mehrstufigen Prozess in Adenosintriphosphat. ATP ist der Energietreibstoff des Körpers, für alle zellulären Prozesse verbraucht ein Mensch davon täglich etwa so viel wie sein Körpergewicht.
Um seine Energiespeicher zu füllen, braucht der Körper ausreichend Fette, Kohlenhydrate und Proteine – Letztere sind der Hauptbaustein der Mitochondrien. Wer Nüsse, Tofu oder Eier isst, liefert dem Körper Baustoffe, die er braucht, um sich selbst zu regenerieren. Auch Zucker ist ein Energielieferant für Muskeln und fürs Gehirn, aber der Energieschub nach einem Schokoriegel verpufft schnell. Zuckerarmes, sättigendes Essen hält den Energiespiegel länger stabil.
Manche Menschen schaffen es aber, mehr Energie im Körper zu produzieren als andere. "Profisportler haben in ihren Muskelzellen bis zu doppelt so viele Mitochondrien – und damit mehr kleine Energiefabriken – als jemand, der sich wenig bewegt", sagt Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln. Grund dafür ist, dass regelmäßiges Training sowohl die biochemische Funktionsweise der Mitochondrien verbessere als auch ihre Anzahl erhöhe.
Sport und Bewegung sind, nach der Ernährung, der zweite Faktor, der den Energiehaushalt beeinflusst. Gerade Menschen mit hohem Belastungspensum, zum Beispiel Firmenchefinnen und -chefs, treiben häufig viel Sport. "Wer kognitiv viel leistet, braucht Sport als Ventil und psychophysische Balance", sagt Froböse. Sportlerinnen und Sportler könnten auch im Alltag auf größere Energiereserven zurückgreifen. Das seien oft die Personen, "bei denen es für Außenstehende so aussieht, als würde ihnen alles leichtfallen".
Hinzu komme: Sport hebe die Stimmung nachweislich, baue Stresshormone ab, kurble den Fettstoffwechsel und die Sauerstoffaufnahme an. Besonders Ausdauersport (PDF) wie Laufen und Radfahren eigne sich, aber auch moderates Hochintensitäts-Intervalltraining (Journal of Physiology: MacInnis & Gibala, 2017). Dabei liegt allerdings ein schmaler Grat zwischen Auslastung und Überlastung: Eine Forschungsgruppe der spanischen Universität Jaén wies in einer Studie nach, dass körperliche Aktivität bei moderatem Stress energiefördernd und stressmindernd wirke, während Sport bei starkem Stress zusätzlich auszehrend sein kann (Current Psychology: Cortés-Denia et al., 2023).
Ausreichend Schlaf ist wichtig für mehr Energie
Um mit voller Energie in den Tag zu starten, ist es naheliegend, die Batterien über Nacht aufzuladen. Trotzdem leben wir in einer Ära der "globalen Fatigue". Das zeigte eine Metastudie aus dem vergangenen Jahr, die 91 Studien auf drei Kontinenten auswertete. Jeder fünfte Erwachsene fühlte sich laut der Studie schon einmal bis zu sechs Monate lang dauerhaft erschöpft. "Wir haben kein Belastungsproblem, sondern ein Regenerationsproblem", sagt Froböse. Eine Hauptursache sei neben mangelnder Bewegung und falscher Ernährung zu wenig Schlaf. Denn: Während wir schlafen, wird das Immunsystem gestärkt, Zellen und Muskeln reparieren sich.
Die Studie Mitochondrien brauchen ihren Schlaf aus dem Jahr 2023 kam unter anderem zu dem Ergebnis, dass Schlafentzug in die Reparaturmechanismen der Zellen eingreift, was wiederum die Wahrscheinlichkeit für zum Beispiel Krebs oder Stoffwechselkrankheiten erhöht.
Allerdings reichen die drei Faktoren – Sport, Ernährung und Schlaf – alleine nicht immer, um das Energielevel mancher Menschen zu erklären.
Auf die persönliche Resilienz kommt es an
Die Psychotherapeutin und Resilienzforscherin Isabella Helmreich sagt dazu, ein stabiles Energielevel sei ein Zusammenspiel von genetischen Eigenschaften mit der persönlichen Lerngeschichte, was man also in der Kindheit und Jugend in Interaktion mit Mitmenschen und der Umwelt gelernt habe. Wichtig seien unter anderem mentale Stärke, körperliche Gesundheit und ein stabiles soziales Netzwerk.
Wann wir uns gestresst oder überlastet fühlen, hänge stark von individueller Resilienz ab, sagt Helmreich, die am Mainzer Leibniz-Institut für Resilienzforschung arbeitet. Resilienz beschreibt dabei die Fähigkeit, psychische Gesundheit zu bewahren und sich nach Rückschlägen wieder zu erholen: "Sie hilft uns, langfristig vital zu bleiben." Zwar deuteten Zwillingsstudien darauf hin, dass Resilienz zu 30 bis 50 Prozent genetisch bedingt ist, doch als Fähigkeit entwickele sie sich vor allem durch die aktive Bewältigung von Herausforderungen. Dabei spielten sowohl persönliche Eigenschaften, wie die psychologische Verfassung, als auch Umweltfaktoren, etwa das soziale Umfeld, eine entscheidende Rolle. Resiliente Menschen zeichneten sich dadurch aus, dass sie ein starkes soziales Netzwerk hätten, flexibel auf Veränderungen reagieren könnten und einen optimistischen Blick auf das Leben hätten (Translational Psychiatry: Veer et al., 2021). Sie wüssten, wie man "Prioritäten setzt, Grenzen zieht, Ressourcen gezielt einsetzt und regelmäßige Pausen einlegt", sagt Helmreich. Und: wie man mit Stress umgeht.
"Stress kann die Vitalität deutlich mindern", sagt die Resilienzforscherin, "unter anderem, weil er die psychische Gesundheit beeinträchtigt und zu Erschöpfung führt." Ein Grund dafür sei, dass der Körper unter Stress das Hormon Cortisol ausschütte und wir in diesem Alarmzustand schlechter zur Ruhe kämen und schlechter schliefen. Eine Studie aus dem Jahr 2022 mit 16.000 chinesischen Beamtinnen und Beamten zeigte, dass Personen mit Arbeitsstress oder Geldsorgen doppelt so oft unter Erschöpfung litten. Hinzu kommt: Anhaltender Stress kann die Funktionalität der Mitochondrien negativ verändern, was wiederum auch den Körper in seinen Immunprozessen angreife (Psychosomatic Medicine: Picard & McEwen, 2018).
Nicht alle Leistungsmenschen haben so viel Energie
Doch der Eindruck unerschöpflicher Überflieger kann täuschen: "Viele meiner Patientinnen und Patienten überlasteten sich über Jahre, hielten über Monate und Jahre einen Schein aufrecht, bis der Körper irgendwann streikt", betont Psychotherapeutin Mirriam Prieß. Um nicht in einen Optimierungsdrang zu verfallen, sei es wichtig, "die eigenen Grenzen zu respektieren und das Beste aus dem Möglichen zu machen".
Auch Expertin Isabella Helmreich rät dazu, den Alltag mit kleinen, realistischen Schritten zu gestalten, anstatt nach Perfektion zu streben. Bewusste Selbstfürsorge im Alltag könne dazu beitragen, sich energiegeladener und zufriedener zu fühlen. Und dazu gehört auch: zu akzeptieren, dass nicht jede und jeder gleich viel leisten muss – ein Abend auf dem Sofa tut manchmal genauso gut wie einer auf dem Laufband.
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