Einsamkeit im Studium: Allein unter Massen

Autor*innen
Ursula Kals
Ein Mann sitz auf dem Boden und über ihm ist eine Wolke, die regnet

Freunde finden, das sollte an der Uni ganz einfach sein - oder? Warum sich viele Studenten trotzdem einsam fühlen, welche Auswege es gibt und warum es gut ist, milder mit sich umzugehen.

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Am quälendsten fand Lena die Glückwünsche euphorischer Verwandter, die zum Sprung ins Uni-Leben gratulierten und schwärmten: "Jetzt beginnt die schönste Zeit deines Lebens!" Für die 19-Jährige war der Beginn des Informatikstudiums in Köln aber alles andere als schön. Von der beschaulichen Kleinstadt in Hessen ins großstädtische Köln zu ziehen war ebenso aufregend wie einschüchternd. "Das erste Studienjahr war das einsamste in meinem Leben", sagt die heute 22-Jährige. Dass es vielen so geht, war ihr lange Zeit nicht bewusst. Zwei Lebensphasen im Studium erhöhten das Risiko, sich einsam zu fühlen, sagt Lilly Hunold von der Psychologischen Studienberatung der Universität Münster: "Zum einen die Phase als Erstsemester, in die man je nach Studiengang in der BWL oder Jura mit rund 700 Menschen startet. Zum zweiten das Ende des Studiums. Hat sich das durch ein Auslandssemester oder Erkrankung in die Länge gezogen, machen manche die Erfahrung, dass sich ihr soziales Netz ausdünnt oder abhandengekommen ist."

"Es liegt nicht an meinen Defiziten"

Unter Einsamkeit leiden immer mehr Menschen, sie verlieren sich in digitalen Welten, ein Brandbeschleuniger war die Pandemie. "Das Thema hat in den vergangenen Jahrzehnten bei den jungen Erwachsenen zugenommen", sagt Julia Semineth, die mit ihrem Team die Psychotherapeutische und Psychosoziale Beratungsstelle des Studierendenwerks München Oberbayern leitet, die für 16 Hochschulen zuständig ist. Die Psychologin betont: "Es ist total gut zu wissen, ich bin damit nicht alleine, ich bin einer von vielen, es liegt nicht an mir persönlich und meinen Defiziten." Ihr als Therapeutin ist wichtig, gerade leistungsbereiten jungen Menschen zu vermitteln, milder mit sich umzugehen und einen mitfühlenden Blick auf die eigene Situation zu haben: "Das hört sich profan an, ist aber überhaupt nicht trivial. Die meisten erleben das als persönliche Schwäche, als Versagen." Es gehe nicht darum, sich selbst zu bemitleiden, sondern eine warmherzige Haltung sich selbst gegenüber zu zeigen, so, wie das wohlmeinende Eltern tun. Einsamkeit zu erleben sei ein Phänomen in den Zwanzigern und gehe einher mit einer Schwellensituation. "Das Studium ist eine total unbekannte Situation. Vorher gab die Schule eine klare soziale Struktur vor, jetzt muss man soziale Kompetenzen beweisen, auf Leute zugehen, das hat man vorher unter Umständen nicht so geübt. Die nette neue Kommilitonin sitzt plötzlich am Ende des Hörsaals", sagt Julia Semineth.

Dort, wo man sich sicher fühlt

In den Beratungsgesprächen, die Lilly Hunold führt, zeigt sich oft eine Gemengelage: "Manche Betroffene verspüren eine generelle Unzufriedenheit mit der Lebenssituation, haben das Gefühl, im Studium und der neuen Stadt nicht richtig anzukommen, im Vergleich mit dem Freundeskreis in der Heimat keine innigen Beziehungen zu erleben." Einsamkeit sei evolutionär betrachtet ein funktionales Gefühl, ohne Gruppe dazustehen könne lebensbedrohlich wirken. "Deshalb sollte sich jeder überprüfen, ob er gerade allein oder einsam ist. Stellen die Betroffenen fest, dass sie eine Familie und einen Freundeskreis zu Hause haben, bei denen sie sich sicher fühlen, hilft das, den Druck des Einsamkeitsgefühls auszuhalten." Der Studienbeginn löse manchmal einschneidende Trennungen aus, räumlich und zwischenmenschlich. Aber Freundschaften brauchen Zeit zu wachsen. Lilly Hunold zitiert eine Jeffrey-Hall-Studie: Um aus einer Bekanntschaft eine lockere Freundschaft zu machen, braucht es 40 bis 60 Stunden, 80 bis 100 für eine gute und mehr als 200 Stunden für eine beste Freundschaft. "Das sind ja 20 Mal Kaffeetrinken, hat mir eine Studierende in der Beratung gesagt. Das kam ihr viel vor und entsprach nicht ihren Erwartungen. Es gilt jedoch, diese Erwartung zu drosseln, denn man muss nicht in den ersten zwei Wochen seine Seelenverwandte finden."

Ein Schutz, um nicht beschämt zu werden

Enttäuscht stellen Erstsemester fest, dass ihnen Menschen fehlen, mit denen sie vertrauliche Dinge austauschen können. "Da geht es um Beziehungserwartung, vielleicht dauert es zwei Semester, bis ich mich in den Beziehungen wirklich wohlfühle", sagt die Psychologische Psychotherapeutin Semineth. "Verschärft ist das für Studierende, die zum Beispiel durch den Wechsel von Kiel nach München eine Art Kulturschock erleben. Weitaus extremer ist das natürlich für international Studierende, die noch nicht genug Deutsch sprechen, dadurch Scham empfinden, die vielen kulturellen Angebote der Hochschulen zu nutzen und Dinge einfach auszuprobieren. Sie haben ein höheres Risiko, einsam zu werden." Schwierig ist die Lage für junge Leute, die unangenehme Erfahrungen bei sozialen Annäherungsversuchen gemacht haben. "Wir sprechen bei wiederholt unangenehmen Erfahrungen von Zurückweisungsempfindlichkeit", sagt Semineth. Angst vor Ablehnung könne hemmen, andere anzusprechen, um sich beispielsweise für einen Mensabesuch zu verabreden. Dies sei "ein Schutz, um nicht beschämt zu werden", erklärt Studienberaterin Hunold. Sie empfiehlt einen Realitätscheck: "Was könnte im schlimmsten Fall passieren, wenn eine Person Nein sagt? Wie denke ich in einem oder in fünf Jahren darüber?"

Lena rauschte in eine Art Tunnel

Einsamkeit ist ein Warnsystem, das angeht, wenn sich jemand in seinen sozialen Bedürfnissen frustriert fühlt. "Es lohnt, zu beobachten, wann fühle ich Einsamkeit: Sind es interne oder externe Auslöser? Ich komme in das Seminar, da kennen sich alle, und ich sitze alleine im Eck, aber in meiner WG fühle ich das nicht. Es hilft, das Gefühl achtsam wahrzunehmen und es nicht wegzudrücken. Dann kann ich überlegen, wo kann ich meine Situation verbessern und mein soziales Netzwerk erweitern", sagt Semineth. Während andere in der Einführungswoche spontan Cliquen gründeten, hatte Lena Pech. "Ich bin eher introvertiert, tue mich schwer, auf Leute zuzugehen, und bin in eine Gruppe geraten, wo mir die meisten einfach nicht sympathisch waren." Anstatt sich nach anderen umzusehen, die Lerngruppe zu wechseln, verharrte Lena und rauschte in eine Art Tunnel. Mit zwei Kommilitonen lief es besser, aber der eine schmiss nach wenigen Wochen hin, der andere verliebte sich und zog sich zurück. Dumm gelaufen. Verschärfend kam hinzu, dass rund 45 Prozent aller Studenten ein Informatikstudium abbrechen. Um den leeren Sonntagen zu entfliehen, an denen ganz Köln in Kneipen und am Rheinufer rheinische Fröhlichkeit zu zelebrieren scheint, machte Lena das, was nahelag. "Das erste Jahr bin ich so gut wie jedes Wochenende nach Hause gefahren."

Was Krankenkassen treuherzig auflisten

Heimatverbundenheit gut und schön, förderlich ist das nicht, um neu anzufangen. Sosehr sich die Eltern über die Besuche der Tochter freuten, so sehr sorgten sie sich. Damit aus der Niedergeschlagenheit nicht Antriebslosigkeit wurde, drängten sie sie, sich zum Handballtraining aufzuraffen. "Das markierte die Wende." Seitdem trainiert sie zweimal in der Woche und genießt hinterher die Absackerrunden in Köln. "Ich bin endlich angekommen." Ihr hat der triviale Tipp geholfen, unter Menschen zu gehen, um sich weniger allein zu fühlen. Treuherzig listen das Krankenkassen auf ihren Websites auf und ermuntern: "Fassen Sie sich ein Herz, und gehen Sie mit Selbstvertrauen aktiv gegen Einsamkeit vor." Doch genau das fällt vielen schwer. Die Tipps: ab zum Sport, der zugleich Stress abfedert. Ab in einen Verein, davon gibt es rund 600.000 im Land. Dann die Empfehlung, sich ehrenamtlich zu engagieren - anderen zu helfen, um sich quasi selbst zu helfen. Lena hatte kurz überlegt, sich im Altersheim vorzustellen, um Senioren den Umgang mit digitalen Medien zu vermitteln. "Aber ich hatte die Befürchtung, dass mich das Umfeld runterzieht", bekennt sie offen. "Es ist sinnvoll, Begegnungsmöglichkeiten zu nutzen. Das Bedürfnis nach Verbundenheit, Dazugehörigkeit lässt sich in Gruppen herstellen, sei es im Chor oder beim Mannschaftssport. Aber es ist keineswegs so, dass man sich damit automatisch nicht mehr einsam fühlt. Dafür gibt es kein Patentrezept", sagt Lilly Hunold.

"Hält die Einsamkeit lange an, ist der Leidensdruck sehr hoch und Betroffene ziehen sich komplett zurück, dann ist das in 50 Prozent der Fälle Teil einer klinischen Störung", sagt Julia Semineth. Höchste Zeit, sich professionelle Hilfe zu holen. Übrigens seien Männer und Frauen in dieser Alterskohorte gleich häufig betroffen. Ein unseriöser Tipp, um Einsamkeit abzufedern, lautet, sich ein Haustier anzuschaffen. Nicht, dass es dem Zweibeiner wieder gut geht, er Anschluss findet und sich das Tier dann im Heim wiederfindet. So wie die Corona-Tiere. Die sind dann wirklich hundeeinsam.

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