Stille Helden: Introvertiert im Studium
- Magdalena Schneider
Albert Einstein, Rosa Parks, Bill Gates, Mahatma Ghandi oder Mark Zuckerberg: Introvertierte sind in guter Gesellschaft. Wissenschaftlichen Schätzungen zufolge ist sogar ein Drittel bis die Hälfte der Bevölkerung introvertiert – und trotzdem empfinden viele die damit assoziierten Eigenschaften als Manko. Wir haben einen Psychologen gefragt, wie man sich an der Uni als zurückhaltender Mensch zurechtfindet.
Du findest die Gesellschaft Anderer anstrengend und lädst deine Batterien erst so richtig wieder auf, wenn du alleine bist? Du arbeitest gerne allein und hörst lieber zu, als selbst zu sprechen? In manchen Situationen an der Uni sind diese Präferenzen und Verhaltensmuster, die Introvertierten zugeschrieben werden, nicht hilfreich – zum Beispiel wenn es darum geht, neue Leute kennenzulernen oder sich in einer Referatsgruppe einzubringen.
Im Interview erklärt der Heidelberger Psychologe Frank-Hagen Hofmann, was man unter Introversion versteht und wie man es schafft, bei Bedarf extrovertierter zu agieren.
Herr Hofmann, wie definiert man Introversion?
Allgemein ist Introversion die Tendenz zu einer nach innen gerichteten Haltung. Introvertierte Menschen sind gerne für sich und haben weniger das Bedürfnis nach Geselligkeit, sie wirken manchmal eher zurückhaltend und vorsichtig, während Extrovertierte oft sehr aktiv sind, als durchsetzungsfähig, freundlich und herzlich wahrgenommen werden. Es handelt sich um eine Persönlichkeitseigenschaft, einen Temperamentszug, der als solcher per Definition unproblematisch ist. Introversion ist ein Endpunkt auf einem Kontinuum – der andere Endpunkt ist Extraversion. Jeder Mensch liegt irgendwo zwischen diesen Punkten. Das ist aber auch situationsabhängig. Sprich: Dieser Temperatmentszug kann in der Familie anders aussehen als etwa an der Uni oder am Arbeitsplatz. Es hängt ja oft auch vom Gegenüber ab, ob man zum Beispiel durchsetzungsfähig ist.
Die Schwierigkeiten fangen erst an, wenn man nicht nur introvertiert, sondern auch sehr schüchtern ist, also Ängste und Hemmungen im Kontakt mit anderen Menschen dazukommen. Die Personen, die zu mir in die Beratung kommen, sind eher von ausgeprägter Schüchternheit an der Grenze zu sozialen Ängsten betroffen. Das hat dann mehr mit einer psychischen Beeinträchtigung zu tun als damit, dass sie einfach introvertiert wären und nicht so viele soziale Kontakte brauchen wie ein Extrovertierter. Introvertierte Menschen haben ein geringer ausgeprägtes Bedürfnis nach Geselligkeit als Extrovertierte.
Gerade zu Beginn des Studiums gibt es viele Situationen, die für Introvertierte schwierig sein können: Ersti-Rallyes, Semesteranfang-Partys, Seminargruppenfindung. Was raten Sie Studenten, die sich in diesen Situationen nicht wohlfühlen?
Grundsätzlich heißt Introversion nicht, dass man nicht mit den Anforderungen des Alltags zurechtkommt. Natürlich muss man aber manchmal Dinge tun, die einem vielleicht nicht ganz so liegen, weil sie wichtig sind. Das gilt ja auch für andere Anforderungen im Studium, wie etwa das Schreiben von Hausarbeiten. Es mag sein, dass man das nicht so gerne macht. Trotzdem ist es sinnvoll, sich im Studium dann dazu zu überwinden.
Eine ähnliche Herangehensweise gilt auch für das Überwinden der eigenen Zurückhaltung bei Kennenlernwochen oder Semester-Partys: Introvertierte gehen da vielleicht nicht wahnsinnig gerne hin – aber sie müssen sich dabei auch nicht wahnsinnig wohlfühlen. Sie haben vielleicht weniger Spaß bei solchen Veranstaltungen als Extrovertierte, weil der Geselligkeitsaspekt nicht im Vordergrund steht. Das ist nicht weiter schlimm, solange man sich auf einem Level bewegt, das im Unikontext funktional ist. Es geht am Ende nicht darum, auf zig Party gewesen zu sein, sondern darum, ausreichend Freunde zu haben. Ein Introvertierter hat wahrscheinlich einfach einen kleineren Freundeskreis als ein Extrovertierter – und der reicht ihm auch. Das hat etwas mit Präferenzen zu tun.
Insofern ist die Frage "Wie überwinde ich mich?" gar nicht so dramatisch. Grundsätzlich kann man sich aber fragen: Worin genau besteht meine Sorge in solchen Situationen? Dann kommt man oft zu dem Schluss, dass einem nicht viel passieren kann. Gerade dann sollte ich mich ein bisschen mehr trauen, als das, was sich noch gut anfühlt. Machen statt denken ist oft eine gute Strategie.
Oft ist es aber auch hilfreich, im Hinterkopf zu behalten, dass man nicht mit jedem befreundet sein muss; dass es ok ist, einfach nur Bekanntschaften zu pflegen. Wenn man aber Anschluss sucht, sollte man die Person aussuchen, bei der man denkt: Da kann ich mich noch am leichtesten überwinden. Ich empfehle, nicht einfach irgendwen kennenzulernen, sondern zielgerichtet vorzugehen. Und man sollte das Risiko einkalkulieren, dass der andere einen nicht sympathisch findet – das Ziel und der Erfolg ist, andere anzusprechen, das Ziel ist nicht, gemocht zu werden. Wir mögen auch nicht jeden.
Ist es eine Frage des Alters, ob man an sich selbst die Eigenschaften akzeptiert, die man mit Introversion assoziiert?
Wenn wir über Persönlichkeitsfragen sprechen, geht es immer auch um die Passung zur Umwelt. Je älter man wird, desto geübter ist man darin, sich Umwelten zu suchen, die zu einem passen. Man pflegt dann zum Beispiel Freundschaften, die sich mit der Zeit entwickeln können. Gerade zu Beginn des Studiums ist das natürlich etwas anders, denn man ist in einer Situation, in der fast alle um einen herum auch Anschluss suchen. Außerdem gibt es idealisierte Vorstellungen von der Studentenzeit, die einen ziemlich unter Druck setzen können, was Partys angeht. Da hat man noch nicht ganz die Sicherheit, zu sagen: Es ist auch ok, wenn ich nicht jeden Abend etwas unternehmen will, nicht so wahnsinnig gerne auf Partys gehe und lieber fünf gute Freunde habe als 20 Bekanntschaften.
Dr. phil. Frank-Hagen Hofmann ist Diplom-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut. Er leitet die Psychosoziale Beratung für Studierende des Studierendenwerks Heidelberg.