Prüfungsangst: Wenn die Angst kommt

Autor*innen
Catalina Schröder
Figur mit Menschenkörper und Waschbärkopf sitzt nach vorn gelehnt an einem Tisch und tippt auf einem Laptop.

Die Prüfungsvorbereitung von Tobias (Name von der Redaktion geändert) hat System: Er arbeitet seine Unterlagen gründlich durch, lernt noch in der Nacht vor der Klausur, fährt morgens zur Uni – und geht vor Prüfungsbeginn wieder nach Hause. Einen Grund findet er immer: Er hat Angst, durchzufallen oder fürchtet sich vor einer schlechten Note. Manchmal sind auch einfach zu viele gute Studenten da, wenn er in der Uni ankommt. Gegen die hat er eh keine Chance. Zwölf Mal ist der Wirtschaftsingenieur-Student im vierten Semester wegen seiner Prüfungsangst bereits vor Klausurbeginn wieder nach Hause gegangen. Doch woher kommt die Panik vor Klausuren und mündlichen Prüfungen, unter der so viele Studenten leiden?

Angst vor sozialer Ausgrenzung

Prüfungsangst ist eine Sonderform der sogenannten sozialen Bewertungsangst. Man versteht darunter die Furcht vor der Einschätzung persönlicher Leistungsfähigkeit. Die Ursachen sind vielfältig: Erzählungen von Kommiliton:innen über einen besonders strengen Dozenten oder zu hohe Ansprüche, die viele leistungsstarke Studierende an sich selber haben - auch das trägt oft dazu bei, dass jemand Angst vor Prüfungen entwickelt. Manche Studierende haben Freund:innen, die permanent bessere Leistungen bringen. Andere fühlen sich von ihren Eltern unter Druck gesetzt und fürchten, bei schlechten Noten oder einer nicht bestandenen Prüfung ihre Anerkennung zu verlieren.

Die jüngste Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks mit mehr als 55.000 ausgewerteten Fragebögen zeigt, dass Tobias' Prüfungsangst kein Einzelfall ist: 61 Prozent der Studierenden haben Beratungsbedarf zu finanzierungsbezogenen, studienbezogenen oder persönlichen Themen. 12 Prozent geben dabei an, dass sie unter Prüfungsangst leiden. Frauen sind davon mit 15 Prozent etwas häufiger betroffen als Männer (10 Prozent). Die Dunkelziffer der Phobiker ist nach Einschätzung des Deutschen Studentenwerks allerdings wesentlich höher.

Bei diesen Themen haben Studierende laut DSW-Studie Beratungsbedarf [Quelle: e-fellows.net]

Längst nicht alle Betroffenen holen sich Hilfe – auch das zeigt die Sozialerhebung deutlich: Nur 21 Prozent der Frauen und 20 Prozent der Männer, die von Prüfungsangst geplagt sind, wenden sich damit an eine Beratungsstelle. Auch Tobias will seine Sorgen lieber für sich behalten, statt professionelle Unterstützung zu suchen. "Ich hoffe einfach, dass meine Angst irgendwann von alleine verschwindet, und dass ich mir dann nicht mehr so viele Gedanken über Prüfungen machen muss." Obwohl Hilfe gar nicht weit wäre.

Ein Psychologe im Interview

Einer, der Studierenden mit Prüfungsangst helfen kann, ist Andreas Witte. In der psychotherapeutischen Beratungsstelle des Studierendenwerks OstNiedersachsen in Hildesheim berät er Studierende, die unter psychischen Belastungen leiden oder sich in schwierigen Lebenssituationen befinden.

Andreas Witte ist Diplom-Psychologe und Psychotherapeut. Er hat in Bielefeld und Braunschweig studiert und arbeitet seit mehreren Jahrzehnten in der psychotherapeutischen Beratungsstelle des Studentenwerks OstNiedersachsen an der Universität Hildesheim.

Herr Witte, hatten Sie selbst schon einmal Prüfungsangst?

Prüfungsangst im Sinne einer Störung hatte ich nicht, sondern die normale, angemessene Unruhe oder Spannung, die leistungssteigernd wirkt - ähnlich wie bei einem sportlichen Wettbewerb. Das heißt nicht, dass ich dieses Gefühl besonders angenehm fand. Aber es war auszuhalten und vielleicht sogar notwendig, um mich besser zu konzentrieren.

Aufregung vor einer Prüfung ist normal. Woran erkenne ich, dass meine Aufregung in Prüfungsangst umschlägt?

Pauschal kann man das nicht sagen, da wir alle sehr unterschiedlich belastbar sind. Was für den einen zu viel ist, macht dem anderen noch gar nichts aus. Ich muss für mich individuell entscheiden, wann mein Befinden und meine Leistungsfähigkeit zu stark beeinträchtigt sind. Wenn mir aber schon bei dem Gedanken an die Prüfung die Knie schlottern, wenn meine Prüfungsvorbereitung stark durch die Angst beeinträchtigt wird und wenn ich schon Tage vorher nicht mehr gut schlafe, dann spricht man definitiv von Prüfungsangst.

Neigen eher die guten oder die schlechten Studierenden zu Prüfungsangst?

Prinzipiell steht die Angst nicht mit der Leistung in Zusammenhang. Es leiden sowohl gute als auch schlechte Studierende unter Prüfungsangst. Meine Erfahrung aber ist, dass es häufig eher die leistungsfähigen und ehrgeizigen Studierenden sind, die mit der Angst zu kämpfen haben. Ihr perfektionistischer Anspruch an sich selbst macht ihnen das Leben schwer. Sie haben sich ein regelrechtes "Schwarz-Weiß-Denken" angewöhnt: Wenn ich nicht eine hundertprozentige Leistung bringe, habe ich versagt.

Ist Prüfungsangst unter Studierenden ein Tabuthema?

Ja, ich denke schon. Ich habe früher Gesprächsgruppen zum Thema Prüfungsangst angeboten, die aber schlecht nachgefragt wurden. Stattdessen kommen die Studierenden mit dem Problem in die Einzelberatung. Es ist den Leuten offenbar unangenehm, vor anderen über ihre Ängste zu sprechen. Generell kann man sagen, dass mehr Frauen zur Beratung kommen als Männer. Das bedeutet nicht, dass Männer nicht unter Prüfungsangst leiden. Aber für sie ist es oft noch problematischer, darüber zu sprechen.

Im Zusammenhang mit Prüfungsangst spricht man oft von einem Blackout. Was versteht man darunter?

Ein Blackout bedeutet, dass mir nichts auf die Frage des Prüfers einfällt. Das geschieht, wenn meine Prüfungsangst plötzlich so groß wird, dass für die Leistungsfähigkeit kein Platz mehr bleibt. Meine "kognitive Ordnung" bricht zusammen, und ich bin nicht mehr in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Allerdings halte ich seine Häufigkeit und Bedeutung im Prüfungsgeschehen für überbewertet. Der Begriff beinhaltet sehr viel Dramatik. Es hört sich immer besser an, wenn ich nach einer Prüfung vom "totalen Blackout" spreche, als wenn ich sage, dass meine Leistung wegen meiner Prüfungsangst nicht so gut war.

Wie helfen Sie den Studierenden konkret?

Im Schnitt führe ich vier bis fünf Gespräche mit ihnen. Wir klären gemeinsam, welche Bedeutung die Prüfung für sie und ihre Zukunft hat. Prüfungsängstliche übertreiben häufig die Bedeutung und dramatisieren negative Folgen. Dann geht es um die Prüfungsvorbereitung: Die Studierenden müssen sich gut vorbereiten und dann bewusst realisieren, dass sie tatsächlich gut vorbereitet sind. Das ist die Grundlage für Stärke und Selbstbewusstsein angesichts einer Prüfung. Ganz wichtig ist auch ihr Selbstbild: Muss ich perfekt sein, damit ich mich mag und damit andere mich anerkennen? Häufig sehen die Studierenden hier schon selbst, dass ihre Wahrnehmung und die Realität weit auseinanderklaffen.

Das Studierendenwerk OstNiedersachsen hat in einer Broschüre Infos zum Thema Prüfungsangst zusammengestellt. Du erfährst:

  • wie du deine Prüfungsangst minderst,
  • mit welchen Methoden du dich gezielt auf Leistungsüberprüfungen vorbereitest,
  • und wie du dich in der Prüfungssituation am besten verhältst.

Drei Methoden, mit denen du Prüfungsangst bekämpfst 

Dem einen ist tagelang schlecht. Der Nächste paukt ohne Pause, merkt sich den Prüfungsstoff aber nicht ansatzweise. Und wieder ein anderer klappt in der Prüfung plötzlich zusammen. Egal, wie sich die Prüfungsangst bei dir bemerkbar macht - auch für dich gibt es eine Methode, sie zu bekämpfen.

Entspannung

Genauso, wie du den Prüfungsstoff übst, solltest du auch Entspannungstechniken trainieren, denn Entspannung ist das direkte Mittel gegen Angst. Tipps zur Entspannung findest du zum Beispiel hier. Eine gute Methode ist die Atementspannung. Folgendes solltest du dabei beachten:

  • Menschen atmen normalerweise acht bis zwölf Mal pro Minute. Achte in Angstsituationen darauf, nur sechs Mal in der Minute zu atmen.
  • Indem du dich auf deine Atmung konzentrierst, lenkst du dich automatisch von deiner Angst ab.
  • Achte darauf, besonders lange und tiefe Atemzüge zu machen.
  • Stelle dir vor, beim Einatmen Energie zu tanken und beim Ausatmen Beängstigendes abzuwerfen.
Rollenspiel

Im Rollenspiel mit Freunden wird eine Prüfung simuliert. Um eine möglichst realistische Situation zu schaffen, solltest du dir vorher gut überlegen, welche Fragen in der Prüfung auch tatsächlich gestellt werden könnten. Wichtig ist, das Rollenspiel später auszuwerten:

  • Konnte ich die Fragen angemessen beantworten?
  • Wie habe ich in Situationen reagiert, in denen ich keine Antwort wusste?
  • Ist mir im Rollenspiel vielleicht ein Thema aufgefallen, über das ich bislang noch gar nicht nachgedacht habe?
  • Wie habe ich mich gefühlt und war ich sehr nervös?

Das Rollenspiel soll dazu beitragen, dass die reale Prüfung nicht mehr so bedrohlich erscheint, weil du dich bereits in die Situation hineinversetzen konntest. Durch Wiederholung des Rollenspiels lernst du bereits gemachte Fehler zu vermeiden und souveräner zu reagieren. So entsteht eine Routine, die deine Angst mindert - und übrigens auch bei Bewerbungsgesprächen hilfreich ist.

Mentales Training

Menschen, die unter Prüfungsangst leiden, haben in ihrem Kopf die fest verankerte Vorstellung einer Prüfung, in der sie versagen. Diese Haltung hat sich meist über Monate oder sogar Jahre in ihren Gedanken verfestigt. Du kannst jedoch dagegen antrainieren, indem du ein Gegenbild erschaffst und dir immer wieder den positiven Verlauf einer Prüfung vorstellst. Natürlich wirst du die Fragen in einer realen Prüfung nie perfekt beantworten können. Aber es gehört auch zu der Übung zu überlegen, wie du beispielsweise reagierst, wenn du keine Antwort auf die Frage des Prüfers weißt. Du kannst darum bitten, diese Frage später beantworten zu dürfen. Oder du fragst nach einem Stichwort, das dir auf die Sprünge hilft.

Ein Betroffener im Interview

Johannes hat eine Ausbildung zum Elektroinstallateur gemacht und an der Handwerkskammer in Hamburg BWL studiert. Seine Prüfungsangst hat er durch Hypnose besiegt. Was sich zunächst für manchen nach Hokuspokus anhört, hat ihm geholfen, heute wesentlich entspannter mit Testsituationen umzugehen.

Wie hat sich die Prüfungsangst bei dir geäußert?

Ich hatte schon in der Schule Angst vor Prüfungen und bekam Schweißausbrüche und Herzklopfen. Dabei war mir übel, und ich konnte schon Tage vor der Klausur nicht mehr richtig schlafen.  

Wie lief die Prüfung dann letztendlich ab?

Oft habe ich einen klassischen Blackout gehabt: Mir ist gar nichts mehr eingefallen. Besser wurde es meist erst zum Ende der Klausur, wenn ich wusste, dass bald alles vorbei ist.  

Was hast du gegen deine Prüfungsangst unternommen?

Über einen Freund habe ich jemanden kennen gelernt, der Leute hypnotisiert, die unter Angstzuständen leiden. Zunächst konnte ich mir gar nicht vorstellen, dass das funktioniert, aber dann habe ich es einfach ausprobiert. Während der Hypnose sollte ich eine Prüfungssituation vor meinem inneren Auge ablaufen lassen. Erst vom Anfang bis zum Ende und dann noch einmal rückwärts. Dazu sollte ich mir lustige Musik vorstellen. Die Situation war einfach so komisch, dass ich darüber lachen musste.

Und danach war die Prüfungsangst weg?

Ich hatte noch eine zweite Hypnose-Sitzung. Dabei sollte ich mir ein Streitgespräch zwischen einem guten und einem bösen Männchen vorstellen. Das gute sah nur die positiven Aspekte einer Prüfung: Beispielsweise dass ich zeigen kann, was ich gelernt habe, und danach stolz auf mich bin. Das böse Männchen fand nur negative Aspekte, wie einen gemeinen Prüfer, der mit Absicht unfaire Fragen stellt. Am Ende konnte das gute Männchen mit seinen Argumenten überzeugen.

Was hat sich seit der Hypnose in Prüfungssituationen für dich verändert?

Vor Klausuren oder mündlichen Prüfungen bin ich natürlich immer noch aufgeregt, aber die Anspannung hat sich auf ein normales Level reduziert. Ich bringe jetzt wesentlich bessere Leistungen, da ich mich nicht mehr so unter Druck setze und in stressigen Situationen ruhiger nachdenken kann.

Checkliste - wann du Unterstützung gegen Prüfungsangst brauchst

  • Du hast das Gefühl, nicht mehr alleine aus dem Teufelskreis negativer Gedanken herauszukommen.
  • Die Angst vor der Prüfung hindert dich massiv an der Vorbereitung.
  • Du reagierst in Prüfungssituationen panisch und würdest am liebsten davonlaufen.
  • Allen Prüfungen gehst du so lange wie möglich aus dem Weg.
  • Vor einer Prüfung lernst du Tag und Nacht und bist nicht mehr in der Lage, abzuschalten.

Wichtig ist, dass du dich rechtzeitig um Unterstützung bemühst, denn nur so hast du eine Chance, deine Prüfungsangst erfolgreich zu bekämpfen.

Schau dich spätestens acht Wochen vor der Prüfung nach professioneller Hilfe um. Kostenlose Beratung bietet ein Großteil der 58 Deutschen Studentenwerke.

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