Underconsumption Core: Sei arm, aber mach es trendy
- Cora Wucherer
Auf TikTok trendet Underconsumption Core: wenig neu kaufen, Dinge tragen, bis sie zerfallen. Ist das sympathisch – oder doch eher anmaßend? Ein Kommentar von Cora Wucherer.
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Haben Sie nicht zwanzig Paar Schuhe, sondern nur ein Paar Sneaker und tragen die jeden Tag, seit mehr als zwei Jahren? Nutzen Sie eine Zahnpastatube, schneiden sie auf und pressen den allerletzten Rest raus, bevor Sie eine neue besorgen? Kaufen Sie neue Klamotten höchstens in Secondhandläden? Herzlichen Glückwunsch, Sie leben jetzt schon Underconsumption Core. Wenn Sie das noch mit einem romantisch dahinplätschernden Nora-Jones-Song unterlegen, sind Sie voll dabei beim neuen TikTok-Trend.
Bei Underconsumption Core geht es darum, zu nutzen und zu schätzen, was man bereits besitzt, und nur Notwendiges neu zu kaufen – normaler Konsum also. Menschen sollen dadurch angeregt werden, ihr maßloses Kaufverhalten zu hinterfragen, das sonst oft gern von Influencerinnen mit riesigen Klamotten-Hauls – also einer Präsentation von Einkäufen – und 17-Schritt-Skincare-Routines vorgelebt wird. Es folgt der Bewegung des Deinfluencing, das Userinnen nahelegt, weniger zu kaufen.
Schon wieder Minimalismus, jetzt halt in neuem Gewand, könnte man denken. In den letzten Jahren bewarben mehrere Trends, den Lebensstil, Essen oder sogar Farben zu reduzieren – Marie Kondo, die alles wegwirft, was kein Joy sparkt, Clean Eating, Babybeige.
Aber die Sache ist: Für Minimalismus brauchen Influencer ironischerweise Geld – und verschwenden oft Ressourcen. Um einem Trend folgend den gut gefüllten Kleiderschrank auf eine ökonomische Kapselgarderobe zu reduzieren, muss man erst einmal ausmisten und unnötigerweise noch tragbare Kleidung entsorgen, um sie dann mit schwarz-weiß-beigen Designerteilen zu bestücken. Und wenige Möbel sehen in einem Loft nach bewusster Interieur-Entscheidung aus, sonst aber eher nach Kargheit und "Du bist hier wohl gerade erst eingezogen, oder?". Solche Nachhaltigkeitstrends üben vordergründig Kapitalismuskritik, hinter der dann doch nur Links zu den nächsten nachhaltigen Bambusrasierern stehen, die man nach ein paar Monaten wieder in den Müll wirft.
Bei Underconsumption Core könnte das tatsächlich anders sein. Der Trend ist nicht in die Zukunft gerichtet, sondern arbeitet mit dem, was die Vergangenheit bereithält. Was man schon hat, ist genug, man muss kein Geld mehr ausgeben.
Natürlich kann man daran die Romantisierung von Armut kritisieren. Wer als Teenagerin die alten Schlagjeans von älteren Freundinnen mit einem aufgestickten Pferdekopf auf dem Hosenbein auftragen musste, statt wie alle anderen 14-Jährigen Skinny Jeans von Miss Sixty zu tragen, weiß: Trendy ist Geringverdienen selten. Auf TikTok kommentiert beispielsweise die offenbar selbst armutsbetroffene Userin itshardouthereman die Form der Verniedlichung satirisch mit "Underconsumption, aber du lebst unter der Armutsgrenze": Milchkisten, die sie als Bettgestell nutze, offene Schränke, weil sie sich keine neuen Türen leisten könne, eine mit Panzertape geflickte Couch, ein zerbrochener Spiegel, den ihr Bruder nach ihr geworfen habe.
Man kann es anmaßend finden, dass Sternchen-Emojis vor Verhaltensweisen gesetzt werden, die für Menschen mit geringerem Einkommen Alltag sind. Man könnte sich darüber lustig machen, dass etwas als Trend verkauft wird, was für viele Menschen seit Jahren einfach nur das normale Leben ist. Und man könnte zu Recht anmerken, dass es jetzt auch nicht die Welt retten wird, wenn man seine Lidschattenpalette so lange benutzt, bis man bei jedem Farbton auf Metall stößt und kein einziger Glitzerpartikel mehr drin ist.
Aber wenn man Underconsumption Core nicht als Ästhetik versteht, sondern als Lebensstil, dann ist es einer der authentischsten Trends, die es auf TikTok je gab. Einer, für den man ausnahmsweise wirklich kein Geld ausgeben muss und der dem Kapitalismus nichts bringt. Wenn man ihn ernst nimmt, legt man das Handy zur Seite und geht einfach in seinen ausgelatschten Sneakern spazieren.
© ZEIT MAGAZIN (Zur Original-Version des Artikels)
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