Stadtleben vs. Landleben: Landkind trifft Stadtkind – das Duell der Klischees
- Theo Schneidt
Kein Hahn kräht nach dem Stadtleben? Landbewohner kennen Busse nur aus dem Fernsehen? Wir klären, was an landläufigen Klischees dran ist.
Wie können so viele Menschen an einem Ort leben und wie kann das Leben dort dennoch so unpersönlich und anonym sein?
Das Leben in der Großstadt stößt mich ab: Das Leben in einer Stadt ist teuer, denn es wollen immer mehr Menschen auf begrenztem Raum leben, weshalb die Mietpreise steigen. Das Studium in einer großen Stadt musst du dir leisten können. Und der Preis ist nicht nur finanzieller Natur – wobei es Natur dort sowieso nicht gibt.
Großstädte sind schmutzig, weil jeder seinen Müll herumliegen lässt. Gleichzeitig sorgt der Lärm dafür, dass du kaum die eigenen Gedanken im Kopf hören kannst. Kein Wunder, dass alle Stadtbewohner schnell neurotisch und aggressiv werden, der Moloch macht die Menschen einfach wahnsinnig.
Und dieses Chaos sorgt auch dafür, dass Verbrechern Tür und Tor geöffnet werden. Ich müsste konstant aufpassen, dass mir in der Menschenmenge nicht das Geld gestohlen wird (zumindest das, was die Miete nicht vorher schon aufgefressen hat). Ich merke schon, wie ich beim Gedanken daran paranoid werde und meinen Mitmenschen immer weniger vertraue.
Und neben den Verbrechen verlieren die Menschen in diesem Sündenpfuhl auch noch jeglichen Sinn für Normalität. Sie werden komplett enthemmt und streben nur noch nach dem nächsten Kick. Es gibt keine echte Liebe mehr, nur unpersönlichen Sex. Beim Gedanken an die ganzen verschwitzten Körper (unter Drogeneinfluss auch noch) wird mir einfach schlecht. Klingt unrealistisch? Ist es nicht.
Die Unis dort stelle ich mir als kleine Versionen der Stadt vor. Also auf kleinerem Raum genauso viele Leute, die sich – stets den Blick auf die eigene Karriere gerichtet – durchkämpfen, immer mit ausgefahrenen Ellenbogen. Niemand sucht dort noch echte Freunde. Das Leben in der Großstadt ist genauso wie eine riesige, brutale Jura-Fakultät. Zumindest stelle ich es mir so vor.
Klar, in der Stadt zu leben hat Nachteile: die Mieten zum Beispiel. Allseits bekannt sind Bilder von Städten wie Berlin, in denen sich bei Wohnungsbesichtigungen lange Schlangen bilden. Die vielen Menschen produzieren auch Müll, der nicht immer korrekt entsorgt wird. Dass es unter Umständen laut wird, beweisen viel befahrene Straßen und Baustellen. Trotzdem habe ich persönlich bis jetzt fast immer ruhige Flecken gefunden.
Das Vertrauen zueinander ist in der Stadt auch nicht ganz so ausgeprägt wie auf dem Land – da hast du wahrscheinlich recht. Ich kann verstehen, dass dich manche Kriminalitätsstatistiken verunsichern. Doch habe ich mich in der Stadt eher selten wirklich unwohl oder gar unsicher gefühlt. Dennoch ist es immer ein guter Rat, sich möglicher Gefahren bewusst zu sein, seinen gesunden Menschenverstand zu gebrauchen und nicht mitten in der Nacht mit einem Bündel Geld in der Hand durch dunkle Seitenstraßen zu streifen. Ich kann mir allerdings beim besten Willen nicht vorstellen, dass es auf dem Land keine Gefahren und Kriminalität geben soll.
Meiner Meinung nach überwiegen in der Stadt ganz klar die Vorteile und ich für meinen Teil lebe sehr gerne in der Stadt. Entgegen deiner Bemerkung gibt es hier immer Natur. Das ist jetzt natürlich kein Urwald, aber denk doch mal daran, wie grün und "natürlich" der Tiergarten in Berlin oder der Englische Garten in München sind. Und auch der Industriestandort Stuttgart oder das im Ruhrgebiet gelegene Dortmund bieten einen Grünflächenanteil von über 50 Prozent. Im Zweifel kommst du aber durch die sehr gute Verkehrsanbindung leicht ins Umland, sprich "aufs Land". Waldspaziergänge oder Wanderungen in Nationalparks stehen also auch in meinem Kalender.
Das Stadtleben ist auch viel sozialer, als du denkst. Wer den Kontakt zu anderen sucht, muss nicht anonym bleiben. Natürlich kennt nicht jeder jeden, so wie in einem kleinen Dorf. Dafür gibt es andere Möglichkeiten ins Gespräch zu kommen, beispielsweise in einem Yoga-Kurs oder bei Straßenfesten. In vielen Nachbarschaften werden Events organisiert; man trifft sich zum Grillen oder veranstaltet einen Flohmarkt. Meine Nachbarn kenne ich persönlich, es fühlt sich an wie auf dem Land – mit dem großen Vorteil, dass ich als Stadtkind auf fast nichts verzichten muss.
Landleben als Student?!
Die Schwierigkeiten des Landlebens fangen schon bei der Verkehrsanbindung an. Wenn ich in die Uni, in die Bibliothek oder zum Einkaufen möchte, gibt es in der Stadt für mich verschiedene Möglichkeiten. Fällt zum Beispiel die S-Bahn aus, dann nehme ich einfach die nächste U-Bahn oder einen der vielen Busse. Auf dem Land warte ich hingegen ewig.
Für die Studie "Mobil auf dem Land" des ADAC wurden die Teilnehmer unter anderem gebeten, ihre Zufriedenheit mit der Taktung der Verkehrsmittel zu bewerten. Das Ergebnis: Lediglich 23 Prozent der Befragten vergaben die Noten 1 und 2, sind also zufrieden oder sehr zufrieden damit, in welchen Abständen Bus und Bahn eintrudeln. Das Auto ist aber wahrscheinlich für die wenigsten Studenten eine Option, denn alleine schon Tanken und Versicherung können ganz schön teuer werden. Und vom Stau im Berufsverkehr ganz zu schweigen …
Der Studentenalltag spielt sich aber nicht nur im Unigebäude ab. Immer wieder stehen Hausarbeiten an, für die ich recherchieren muss. Große Bibliotheken gibt es meist in der Stadt oder direkt an der Uni. Die eigentliche Herausforderung heißt Internetrecherche. 'Schnell' mal was nachschauen? In vielen ländlichen Regionen undenkbar. "In den ländlichen Gebieten ist im Schnitt noch nicht mal jeder zweite Haushalt mit 50 MBit-Leitung versorgt", so die Tagesschau. Wenn man dort also etwas sucht, dann wahrscheinlich das Busticket in die nächstgelegene Stadt mit Internetzugang.
Auch freizeittechnisch lohnt sich die Fahrt in die Stadt. Egal ob Fitnessstudios, ausgefallene Läden oder exotisches Essen: Hier gibt es für fast jeden Geschmack etwas – und das oft in der Nähe. Ich empfinde das als ein großes Stück Lebensqualität und kann mir im Moment nicht vorstellen, für all diese Annehmlichkeiten erst eine längere Fahrt auf mich nehmen zu müssen. Vielleicht kannst du mich ja vom Gegenteil überzeugen?
Zur Verkehrsanbindung: Okay, du hast schon Recht damit, dass auf dem Land nicht alle zwei Minuten eine S-Bahn vorbeikommt. Doch ist das in der Stadt so viel besser? Die Bahnen fallen ständig aus und dann musst auch du ewig warten. Die Zeit vielleicht nicht, aber gerade die Nerven spart man sich definitiv auf dem Land. Da es nicht so viele Möglichkeiten gibt, von Ort zu Ort zu kommen, haben fast alle Autos oder nehmen manchmal Taxis in Anspruch. Deshalb kommen sie auch immer pünktlich an, selbst wenn es ein paar Minuten länger dauert als in der Großstadt. Zugegebenermaßen sind Öffis aber für die Umwelt besser, als wenn jeder mit dem eigenen Auto fährt.
Zur Internetverbindung: Also so schlimm ist es jetzt auch wieder nicht! Ich hatte als Kind nur einen einzigen Freund, der so weit weg von Gut und Böse gewohnt hat, dass er gar kein Internet hatte. Davon abgesehen haben die meisten Unis ihre eigenen Bibliotheken und achten schon darauf, dass es in Unistädten gutes Internet gibt. Ich bin mir sicher, dass man an keinem Ort in Deutschland eine Uni, aber kein funktionierendes Internet findet.
Zu den Freizeitangeboten: In einer großen Stadt kann man bestimmt vieles finden, aber nicht immer leicht. Mit Öffis von einer Seite Berlins zur anderen zu fahren dauert auch eine halbe Ewigkeit (falls du mit der Deutschen Bahn überhaupt irgendwo ankommst). Und in der Zeit kommst du auf dem Land auch locker in eine Nachbarstadt, in der du findest, was du willst.
Und überhaupt, braucht es wirklich 15 verschiedene asiatische Imbisse in einer Straße? Realistisch sind die meisten Menschen Gewohnheitstiere und wollen sowieso immer wieder dieselben paar Sachen. Da ist es völlig egal, ob es eine Überfülle an Möglichkeiten gibt, die man sowieso nie alle ausprobieren will und auch nicht kann. Auch wenn es schon stimmt, dass es manche Angebote nur in der Stadt gibt.