Tricks der Psyche: So schützt sich deine Psyche

Autor*innen
Katharina Holzinger
Person hält die Hände wie zum meditieren. Ihr Kopf wurde durch eine Wolke ersetzt.

Vermeiden, verdrängen, verleugnen: Diese Mechanismen können hilfreich sein, um im Alltag zu funktionieren. Doch sie lösen keine Probleme. So erkennst du die Tricks der Psyche.

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Schwerpunkt der aktuellen Ausgabe: Das Model Stefanie Giesinger hat sich verloren und wiedergefunden. Wie auch du die große Frage beantwortest: Wer will ich sein?

Du sitzt auf dem Rad, biegst um eine Kurve, und zack, scheint die Sonne grell in deine Augen. Instinktiv kneifst du sie zu. Dein Körper hat einen äußeren Reiz, das Licht, erfolgreich abgewehrt.

So ähnlich kann das auch die Psyche. Etwa bei Enttäuschungen. Du hast überraschend eine Prüfung nicht bestanden? Statt traurig zu sein, suchst du nach Erklärungen: Die Fragen waren nicht eindeutig formuliert. Die Dozentin hat unfair bewertet. Diese Reaktion heißt "Rationalisierung" und ist eine von zahlreichen Abwehrmechanismen der Psyche.

Das Konzept der Abwehrmechanismen beruht auf dem Instanzenmodell des Psychoanalytikers Sigmund Freud. Demnach bewegt sich das Realitätsbewusstsein des Menschen, Freud nennt es das "Ich", zwischen dem "Über-Ich" und dem "Es". Das "Über-Ich" repräsentiert unsere Moral und soziale Normen. Das "Es" wiederum steht für die Triebe und Wünsche. Zwischen diesen beiden Instanzen gibt es Konflikte, die das "Ich" aushandeln muss. Dabei können Abwehrmechanismen unterbewusst helfen. Sie lösen die Konflikte zwar nicht, aber regulieren Stress, vermeiden schmerzhafte Gefühle und ermöglichen es, mit der Frustration irgendwie umzugehen.

Freud forschte Ende des 20. Jahrhunderts. Heute weiß man viel mehr über psychische Erkrankungen als damals: Statt einzelne Abwehrmechanismen zu bestimmen, untersucht man inzwischen die Abwehrstruktur der Persönlichkeit. Sie steht für die Weise, wie Menschen grundlegend auf Gefühle, Beziehungen und ihr Selbstbild blicken. In der Psychoanalyse und der Tiefenpsychologie wird aufgespürt, auf welche psychischen Fähigkeiten ein Mensch nicht zurückgreifen kann, zum Beispiel die Affektregulierung. Die Liste der Mechanismen ist über die Jahre immer länger geworden. Hier haben wir sechs ausgewählt.

Wie steht es um deine psychischen Abwehrkräfte?

Wer stets mit erhobenem Schutzschild durch die Welt geht, läuft Gefahr, auf lange Sicht unzufrieden zu werden. Denn die Abwehrmechanismen können echte Gefühle überdecken: Wir mauern, igeln uns ein oder stumpfen ab. Doch wer seine Abwehrmechanismen kennt und sein Verhalten immer wieder reflektiert, kann das verhindern. Timo Storck, Professor an der Psychologischen Hochschule Berlin und Autor des Buches "Abwehr und Widerstand", sagt: "Abwehrmechanismen können hilfreich sein, aber auch dysfunktional." Ob man seine Muster durchbrechen kann, hänge davon ab, wie sehr man auf eine bestimmte, immergleiche Umgangsweise festgelegt sei: "Für das 'Ich' sind die Abwehrmechanismen ein Lösungsversuch, wenn es keinen anderen Umgang mit der Situation parat hat. So ähnlich funktionieren auch psychische Erkrankungen."

Wenn der eigene Schutzschild verrücktspiele und es einem damit nicht gut gehe, sollte man sich professionelle Hilfe holen, rät er. Zuvor aber kann man sich selbst fragen, wie man tickt und ob man damit zufrieden ist. Diese Reflexionsfragen helfen dabei:

  • Bist du im Großen und Ganzen zufrieden mit der Art, wie du lebst, wie du dich und die Welt siehst und Beziehungen führst?
  • Gibt es einen Automatismus in dir, der dir selbst nicht guttut, reagierst du etwa auf Ablehnung immer mit Wut? Kannst du den Automatismus benennen?
  • Schränkt der Mechanismus dein Leben und Handeln ein? Leidest du darunter?
  • Gibt es etwas, das du nicht erleben oder zeigen möchtest, weil du fürchtest, für andere "unbequem" zu sein, und ist das schwer zu ertragen?
  • Gibt es Momente, in denen du die soziale und psychische Flexibilität verlierst, mit Situationen oder Rollenwechseln umzugehen, etwa wenn du für die Arbeit eine neue Funktion ausfüllen musst?

Abwehrmechanismen

Verdrängung

Unangenehme oder schmerzhafte Erfahrungen schiebst du – ohne es aktiv zu steuern – ins Unbewusste. Du vergisst nicht etwa das, was du in der vergangenen Woche zum Frühstück gegessen hast, sondern Dinge, die eine emotionale Bedeutung für dich haben. Zum Beispiel fällt dir nach einem heftigen Streit mit deinem Bruder seine Handynummer nicht mehr ein, die du eigentlich auswendig weißt. Was erst mal harmlos klingt, kann Ausdruck eines tiefen Schmerzes aufgrund eines Konflikts sein.

Verleugnung

Du hast seit Wochen starke Kopfschmerzen und müsstest eigentlich zum Arzt. Aber eine mögliche Diagnose macht dir Angst, weshalb du dir einredest, dass die Schmerzen so schlimm gar nicht seien. Du weigerst dich also, die Realität wahrzunehmen, um dich vor möglichen Konsequenzen zu schützen.

Projektion

Du hastest aus der Uni durch die Fußgängerzone nach Hause, bist angespannt und gereizt. Dir kommt es aber so vor, als ob all die Menschen, die dir entgegenkommen, schlecht gelaunt seien. Wie die rempeln, hetzen und meckern. Die unangenehmen Selbstanteile, den eigenen Stress, willst du überhaupt nicht fühlen. Deshalb projizierst du sie auf andere.

Rationalisierung

Du bist zu Hause bei deinen Eltern zu Besuch und sprichst mit ihnen über deine Leistung im Studium. Sie sind besorgt, weil du in einer wichtigen Klausur eine 3,0 geschrieben hast. Statt ihnen zu beichten, dass du mit der Vorbereitung überfordert warst, sagst du: "Ach, gute Noten sind doch total überbewertet. Auf die Soft Skills kommt es an." Du tust ihre Sorgen also ab und versteckst deine Versagensangst. Deine wahren Gefühle schreibst du einem vorgeschobenen Grund zu, damit du dich mit den echten Handlungsmotiven nicht auseinandersetzen musst: Eigentlich brauchst du eine Pause.

Spaltung

Wer ist auf meiner Seite? Wer ist gegen mich? Bei der Spaltung überwiegt die Sorge, dass negative Gefühle, die du für eine Person empfindest, die positiven Gefühle kaputt machen. Deshalb spaltest du die Gefühle voneinander ab. So kommt es zu einem Alles-oder-nichts-Denken: Alle Menschen, die du gernhast, sind ausschließlich gut. Die anderen sind ausschließlich schlecht. Deine Welt wird schwarz-weiß. Du lässt dabei außer Acht, dass persönliche Beziehungen vielschichtiger sind und du eine sogenannte Spannungstoleranz brauchst, um ambivalente Gefühle zu einer Person zuzulassen.

Sublimierung

Dieses Wort kennst du vielleicht noch aus dem Physikunterricht. Hier beschreibt "Sublimierung" den Übergang eines festen Stoffes zu Gas. In der Psychologie beschreibt der Begriff etwas ganz Ähnliches. Ein Beispiel: Du bist wütend auf eine Person, weil sie dich verletzt hat. Anstatt dich der Aggression hinzugeben und gewalttätig zu werden, powerst du dich beim Sport aus. Du findest dadurch eine gesellschaftlich akzeptierte Form für deinen Frust. Die Wut "verpufft" also quasi.

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