Studieren in Frankfurt (Oder): Ein deutsch-polnisches Erlebnis

Stadtzentrum von Frankfurt an der Oder

"Tiefster Osten." "Das ist doch schon Polen." "Da sind bestimmt viele Nazis." Solche Sätze hören Student:innen der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) immer wieder. Doch Uni ist nicht gleich Stadt, und letztere ist ohnehin weitaus angenehmer, als sie gemeinhin dargestellt wird.

Ob es die RTL-"Super-Nanny" ist, die bei der Familie im Plattenbauviertel eingreift, weil der 16-jährige Sohn ins rechtsradikale Milieu abzudriften droht, oder die Mutter aus dem nahe liegenden Dorf Finkenheerd, die ihre neun Säuglinge heimlich in Blumentöpfen verscharrte: Frankfurt (Oder) hatte in den vergangenen Jahren in den Medien einen schweren Stand. In der Oderstadt spielende Filme wie "Halbe Treppe" oder "Lichter" wurden zwar mit Auszeichnungen überhäuft, doch inhaltlich perpetuierten sie das graue Image Frankfurts. Da konnte auch die Kandidatur zur Bundespräsidentschaft von Universitätspräsidentin Gesine Schwan nicht viel im öffentlichen Bewusstsein bewegen.

Die Universität: eine Insel mit gutem Namen

Sei es, wie es will. Die Viadrina jedenfalls schneidet bei Hochschulrankings immer besser ab. Die Studiengänge Wirtschaftswissenschaften und Jura schafften es zum Beispiel im CHE-Ranking der ZEIT bei mehreren Kategorien in die Top Ten. Besonders bemerkenswert: Viadrina-Studierende gehören zu den zufriedensten in der deutschsprachigen Hochschullandschaft. So bedrückend kann da die Atmosphäre nicht sein. Dennoch fällt einem sehr bald auf, dass die Universität einer Insel ähnelt. Der Optimismus, die Jugendlichkeit und der Tatendrang, die die Viadrina ausstrahlt, deckt sich leider nicht mit der allgemeinen apathischen Atmosphäre in der Stadtbevölkerung. Hier macht sich die hohe Arbeitslosigkeit von über 20 Prozent bemerkbar; außerdem verlässt die Mehrzahl der jungen Einheimischen die Stadt gen Westen. Dadurch droht Frankfurt langsam aber sicher zu einer Stadt der Rentner:innen zu verkommen; derzeit verliert sie jedes Jahr über 1.000 Einwohner:innen, überwiegend sind dies junge Leute.

Seit 1991 wieder da

Die Europa-Universität Viadrina ist seit 1991 wieder in der Geburtsstadt Heinrich von Kleists ansässig. Gegründet 1506, wurde sie 1811 von Frankfurt nach Breslau verlegt. Nach der Wende beschloss man sehr bald, eine neue Uni mit altem Namen an der Odergrenze anzusiedeln. So kommt es übrigens, dass die eigentlich erst knappe 15 Jahre alte Viadrina sich neuerdings mit "500 Jahre Alma Mater" schmückt. Wirklich alt ist dabei eigentlich nur das ehrwürdige Hauptgebäude mit seinen hohen, auch im Sommer kühlen Gängen und einem sehr schönen Innenhof, in dem immer wieder große Partys stattfinden. Die Universität hatte von Anfang an vor allem eine politische Funktion: Als Brückenuniversität nach Polen und Osteuropa sollte sie als Vorreiterin für die deutsch-polnische Freundschaft agieren.

Beste Voraussetzungen an der Uni

In die Uni wurde in den letzten Jahren sehr viel investiert. So stehen den Studierenden seit wenigen Jahren für Vorlesungen und Seminare ein komplett renoviertes Audimax und ein fulminanter roter Backsteinbau direkt am Oderufer zur Verfügung. Auch das Sprachenzentrum, zu dem man bequem mit der Straßenbahn gelangt, ist erst um die Jahrtausendwende gänzlich renoviert worden. Ein weiteres nagelneues Unigebäude steht auf polnischer Seite: Das Collegium Polonicum (CP) wurde Anfang 2000 eingeweiht und galt damals als zweitmodernster Bau in ganz Polen. Das CP gehört in gleichen Teilen zur Viadrina und zur Adam-Mickiewicz-Universität in Poznan, weshalb polnische Jurastudenten an der Oder sowohl den polnischen als auch den deutschen Abschluss machen können

Studieren in familiärer Atmosphäre

An der Viadrina kann man an drei Fakultäten (Wirtschaftswissenschaften, Jura und Kulturwissenschaften) die Studiengänge BWL, internationale BWL und VWL, Jura (hier gibt es seit einigen Jahren auch den "Bachelor" und "Master of German and Polish Law") und Kulturwissenschaften ("KuWi") sowie mehrere Master-Studiengänge (MBA, IBA, Master of European Studies und weitere) studieren. Der "KuWi"-Studiengang wurde bereits früh von Diplom auf Bachelor und Master umgestellt, an der Wiwi-Fakultät hat man im Wintersemester 2005 ebenfalls Bachelor-Studiengänge eingeführt. Zwar schätzen die meisten Studierenden immer noch die eher familiäre Studienatmosphäre. Doch die könnte bald der Vergangenheit angehören, denn die Universität wächst kontinuierlich; Mensen wie Vorlesungssäle sind mittlerweile ähnlich voll wie an Massenuniversitäten. Waren es im Jahr 2000 noch etwas über 3.000 Studierende, so sind es mittlerweile über 6.500. Professor:innen und Dozierende trifft man jedoch noch immer auch außerhalb der Sprechzeiten.

Die internationalste aller Universitäten

Kaum zu glauben, aber die Europa-Universität in Frankfurt (Oder) ist eine der internationalesten deutschen Universitäten. Knapp 25 Prozent kommen aus anderen Ländern zum Studieren an die Viadrina. Der Großteil der ausländischen Kommiliton:Innen stammt aus Polen, insgesamt sind über 70 Nationen an der Viadrina vertreten. Wer Sprachen lernen will, kann daher nicht nur die zahlreichen und verhältnismäßig günstigen Kurse am Sprachenzentrum der Universität besuchen – Polnischkurse sind dort übrigens kostenlos! –, sondern hat auch keine Probleme, einen Tandempartner fürs Üben zu finden. Wem das noch nicht reicht, der kann zu einer der 250 Partneruniversitäten weltweit für einen Auslandsaufenthalt.

Szene in den Kinderschuhen

Frankfurt (Oder) ist mit seinen knapp 60.000 Einwohner:innen relativ beschaulich. Doch so langsam entwickelt es sich zu einer richtigen Studi-Stadt. Wer weggehen will, kann in Frankfurt zwischen zwei Kneipen extra für Studierende (das "Hemingway's" und der "basswood7") und anderen netten Lokalen wählen. Hier sind zum Beispiel das "1900", das "Kartoffelhaus", das "Café Central" oder der "Ratskeller" zu empfehlen. In den Diskotheken wie "Bananas" oder "Kamea" tummeln sich am Wochenende neben Student:innen zumeist auch die Jugendlichen aus Frankfurt und Umgebung.

Slubice: Mehr als nur Tanken und Haareschneiden

Wer was erleben möchte, der braucht aber eigentlich gar nicht auf der deutschen Seite des Oderufers bleiben. Denn jenseits des Flusses, den man in gerade einmal fünf bis zehn Minuten inklusive Grenzkontrolle überquert hat, tun sich viele weitere Möglichkeiten auf. Zwar nutzen die meisten Frankfurter:innen Slubice, die Stadt mit der größten Friseurdichte Polens, hauptsächlich zum Zigarettenkaufen, Tanken und Haareschneiden, doch auch die Restaurants und Pubs sind sehr empfehlenswert. Genannt seien hier der fantastische Inder in der Nähe der Post, das "Pizza Patrol" (Nähe Intermarché) oder die Pizzeria "Amigo" bei der Bushaltestelle. Obacht: Die Restaurants, Kneipen und Geschäfte in unmittelbarer Grenznähe ("Ramzes" oder die neue Pizzeria "Europa") sind vergleichsweise teuer und auch qualitativ eher unterdurchschnittlich. Auch mit Kneipen und Discos wie "London Pub", "Witkacy" und "Piwnica" kann Sublice dienen.

Berlin inklusive

Und wem es in Slubfurt mal tatsächlich langweilig werden sollte, der erreicht die Hauptstadt in nur einer Fahrtstunde mit dem Regionalexpress. Die derzeit noch rund 230 Euro Semesterbeitrag beinhalten das Semesterticket, mit dem man im ganzen Land Brandenburg den Personennahverkehr (inklusive der Regionalbahnen der Deutschen Bahn) und in Berlin die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen kann. Wohlgemerkt: Diesen Service gibt es nicht einmal für die Berliner Student:innen selbst! Etwa ein Drittel der Studierenden kann es sich daher auch erlauben, in Berlin zu wohnen und zu pendeln.

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