Körpersprache: Wer berührt wen zuerst?

Autor*innen
Nico Rose
Eine übergroße Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger kommt von rechts ins Bild. Daneben steht eine Frau, die sich mit ihrem eigenen erhobenen Zeigefinger dem großen Finger annähert und ihn fast berührt.

Von Schulterklopfen, Demutsgesten und anderen Signalen, mit denen wir unseren situativen Status anzeigen.

Warum stoßen Menschen nicht ständig zusammen, wenn sie durch eine belebte Fußgängerzone gehen? Warum kann Kollege Meier in jedem Meeting seine Ideen durchsetzen, auch wenn sie noch so hirnrissig sind? Warum wirken Raucher so einträchtig, selbst wenn sie heutzutage als Fremde auf engstem Raum zusammengepfercht werden? Auf diese Fragen gibt es eine gemeinsame Antwort: Es liegt am Status. 

Bei diesem Begriff denken viele Menschen zunächst an das, was wir als sozialen Status definieren können. Darunter fallen weitgehend situationsunabhängige Merkmale wie die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (zum Beispiel Prominenz) oder die Verfügungsgewalt über begehrenswerte Güter (vor allem Geld) und Kompetenzen (zum Beispiel eine Professur). Diese Art von Status wird über so genannte Statusmarker zur Schau gestellt. In Unternehmen und anderen Organisationen drückt sich die Hierarchie (der institutionelle Statusunterschied) für alle sichtbar zum Beispiel in der Größe des Dienstwagens aus.

Um derlei Aspekte geht es diesmal nicht. Vielmehr spreche ich vom aktiv beinflussbaren, situativen (oder aktuellen) Status. Dieser Begriff geht auf Keith Johnstone, den Paten des Impro-Theaters, zurück. Die Frage lautet: Wer hat in der konkreten Situation die "One-up-Position"? 

Hier drückt sich Status vor allem durch Sprache (vor allem Körpersprache) aus. In der Fußgängerzone können wir beobachten, dass jene Person, die letztlich ausweicht, dies kurz vorher durch eine flüchtige Geste der Submission (Unterordnung) ankündigt, zum Beispiel ein kaum wahrnehmbares Absenken des Kopfes oder Blickes. Insofern ist dieser Statusunterschied auch nicht absolut, sondern relativ; bei der nächsten Begegnung kann es genauso gut umgekehrt sein. Übergreifend gilt die Regel, dass immer ein – wenn auch minimaler – aktueller Statusunterschied zwischen zwei Personen vorhanden sein muss, damit überhaupt agiert werden kann. Eine strikte Statusgleichheit mündet in Stagnation, hier also in einen Zusammenstoß.

Am Beispiel der Fußgänger wird auch ersichtlich, dass es per se nicht gut oder schlecht ist, den situativen Hochstatus oder Tiefstatus inne zu haben. Beide Wege können zum Ziel führen. Die Positionen kennzeichnen Endpunkte eines Kontinuums. Sie beruhen auf unterschiedlichen Bedürfnissen und gehen auf Dauer mit unterschiedlichen Konsequenzen einher. Situativer Hochstatus speist sich aus dem Bedürfnis nach Dominanz und Distanz. Er geht mit der Möglichkeit zur Durchsetzung der eigenen Interessen einher. Der Lohn: Man wird respektiert – jedoch nicht zwingend gemocht. Situativer Tiefstatus speist sich aus dem Bedürfnis nach Submission und Nähe. Er geht mit der Zurückstellung der eigenen Interessen einher. Der Lohn: Man wird gemocht – jedoch weniger respektiert. Beide Positionen sind also in Reinform mit spezifischen Vor- und Nachteilen verknüpft.

Zum Statusspiel verdammt

Im Großen und Ganzen nehmen Menschen situativ mal die eine, mal die andere Position ein. Allerdings fühlen wir uns typischerweise in einer der beiden Rollen mehr zuhause als in der anderen – was einerseits der genetischen Konstitution (erbliche Persönlichkeitsfaktoren) und andererseits der Erziehung (auch und vor allem Geschlechterstereotypen) geschuldet ist. Dies ist zunächst nicht weiter tragisch, kann aber problematisch werden, wenn zum Beispiel in einem Unternehmen die Person mit den besten Ideen zu permanentem Tiefstatusverhalten neigt. Sie wird dann im Extremfall einfach nicht "gehört" – mit allen negativen Konsequenzen.

Das Spiel von Dominanz und Unterwerfung ist uns evolutionsbiologisch in die Wiege gelegt. Unsere Vorfahren leben seit Jahrmillionen in sozialen Verbänden – und die Interaktion in menschlichen Gruppen wird von Kindesbeinen an zumindest teilweise über die gleichen Mechanismen gesteuert, die auch in einer Affenhorde oder einem Wolfsrudel anzutreffen sind. Wollen wir nicht ein Eremiten-Dasein führen, sind wir zur Teilnahme am Statusspiel verdammt. Somit ist es hochgradig sinnvoll, die wichtigsten Regeln dieses Spieles explizit zu kennen.

Können wir bei Bedarf bewusst situativen Hochstatus einnehmen? lautet die Frage. Die Antwort: Ja, wir können.

Bewusst den Hochstatus einnehmen: So geht's

Haltung und Gang

Status wird über Haltung und Gang vermittelt. Eine aufrechte Positur (Brust raus, Schultern zurück), den Kopf erhoben, raumgreifende, aber niemals eilige Schritte: Das alles sind Signale für Hochstatus. Die Botschaft: Ich zeige mich, auch die empfindlichen Stellen, denn ich habe keine Angst (wer den Kopf hoch und die Brust nach vorn bringt, entblößt Kehlkopf und Solarplexus). Und: Ich habe es nicht eilig, ich bin Herr über meine Zeit. Denken Sie an einen Brautvater, der würdevoll seine Tochter zum Altar geleitet. Tiefstatus hingegen wird durch alle Aspekte des Sich-klein-Machens ausgedrückt: Den Kopf ein wenig schräg, hängende Schultern, eingeknicktes Brustbein, X-Beine beim Sitzen, die Hände in den Schoß gelegt. Wenn Sie dann noch mit den Beinen wackeln oder nervös mit den Händen fuchteln, sind Sie am unteren Ende des Kontinuums angelangt.

Tipp für Hochstatus

Experimentieren Sie mit diesen Signalen in einer Einkaufsstraße. Nehmen Sie den Kopf hoch, schauen Sie stur geradeaus und gehen Sie ruhig und dennoch energisch auf Ihr Ziel zu. Machen Sie keine Anstalten, auszuweichen.

Gestik

Hochstatus wird durch sparsame, kontrollierte Gesten signalisiert. Denken Sie an das ruhige, den restlichen Körper unbewegt lassende Winken von Queen Elisabeth II, wenn sie ihre Untertanen begrüßt. Wichtig: Eine Person im Hochstatus berührt sich fast nie am eigenen Körper; vor allem nicht im Gesicht. Das Berühren von Mund (im Extrem: Nägelkauen), Nase und Ohren wird meist mit Unschlüssigkeit in Verbindung gebracht. Entwicklungsgeschichtlich besteht hier ein Zusammenhang mit Nahrungsaufnahme und Putzverhalten. Die unterschwellige Bedeutung: Ich bin satt und daher ungefährlich. Gezielt genutzt wird die Wirkung offenkundig häufig auf Fotos. Gerade im NLP-Umfeld findet man viele Fotos von Trainern, die (vielleicht in Anlehnung an ein bekanntes Foto von Robert Dilts) ihren Kopf auf eine Hand stützen. Hier findet sich auch die Erklärung für unsere geselligen Raucher. Rauchen ist eine institutionalisierte Form des Sich-ins-Gesicht-Fassens. Jeder Zug bedeutet: Ich tue dir nichts.

Tipp für Hochstatus

Trainieren Sie vorm Spiegel ruhige und ausladende Gesten. Wenn Sie dazu neigen, sich im Gesicht zu berühren, vereinbaren Sie mit einer vertrauten Person ein Feedback-Signal; oft ist uns dieses Verhalten nicht bewusst.

Berührungen

Ein besonderer Aspekt der Gestik sind Berührungen. Wir kennen das aus der Tagesschau: G8-Meeting, das Gipfeltreffen der Staatsoberhäupter, da werden mit der Rechten die Hände geschüttelt, während die Linke jovial an den Arm, die Schulter greift. Wer ist schneller? Wer hält länger fest? Wer weist anschließend mit sanftem Druck im Rücken den Weg? All diese Aspekte dienen der Regulation des situativen Status’. Die Regel lautet: Wer sich von einem anderen Menschen anfassen lässt, gewährt diesem den aktuellen Hochstatus, denn er lässt ihn in seine Intimzone eindringen.

Tipp für Hochstatus

Üben Sie, andere Menschen zwanglos am Oberarm zu berühren, zum Beispiel, um sich den Weg durch eine volle Kneipe zu bahnen. Wollen Sie selbst eine ungewünschte Berührung abwehren, so weichen Sie aus und lassen die Berührung ins Leere laufen. Oder Sie gehen gezielt noch einen Schritt auf den anderen zu, so dass er seinen Arm einknicken muss.

Mimik

Wir wollen uns hier auf die Augen konzentrieren und Aspekte wie die gerunzelte Stirn außer Acht lassen. Blicke sind vielleicht der elementarste Aspekt im Statusspiel. Schon als Kinder veranstalten wir Anstarrwettbewerbe: Wer zuerst wegschaut, hat verloren! Der Untertan nähert sich dem König mit gesenktem Blick. Wer öffentlich Fehler begeht, verliert auf der metaphorischen Ebene wahlweise sein Ansehen oder sein Gesicht. Und im Nahen Osten schützt man sich mit Amuletten vorm "bösen Blick". All diese Beispiele machen die herausragende Bedeutung des Sehens und Gesehen-Werdens deutlich. Besondere Wichtigkeit kommt dabei dem Blinzeln zu. Häufiges Augenklimpern wirkt statussenkend. Je nach Kontext wird es als Sympathiebekundung oder Unsicherheit gedeutet. Ein Mensch im Hochstatus blinzelt daher möglichst wenig; er blickt die Menschen unverwandt an. Eine eindrucksvolle Darstellung hierfür bietet Peter O’Toole als König Priamos in Wolfgang Petersens Verfilmung des Trojanischen Kriegs. Man sieht ihn während des gesamten Filmes kaum einmal blinzeln.

Tipp für Hochstatus

Üben Sie, langen und tiefen Augenkontakt zu halten. Spielen Sie mit visueller Dominanz: Schauen Sie Ihr Gegenüber an, wenn Sie selbst sprechen; schauen Sie weg, wenn Sie zuhören.

Stimme

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Stimme. Tiefe und kräftige (resonante) Stimmen wirken attraktiv und statushebend, bei Männern wie Frauen, wie das Beispiel von Marlene Dietrich zeigt. Eine solche Sprechweise ist praktisch nur möglich, wenn die Atemwerkzeuge entspannt sind. Die unterschwellige Botschaft lautet: Ich fühle mich sicher; was ich zu sagen habe, kann sich hören lassen. Am anderen Ende des Kontinuums stehen piepsige, brüchige und verhauchte Stimmen. Diese werden mit mangelndem Selbstvertrauen assoziiert.

Tipp für Hochstatus

Finden und üben Sie Ihren "Eigenton". Eine gute Anleitung finden Sie bei Dyckhoff und Westerhausen (siehe Literaturliste).

Den Rahmen abstecken

Bislang haben wir nur statusrelevante Aspekte von Körpersprache und Stimme betrachtet. Außen vor blieb der Inhalt: Wer sagt wann was zu wem – oder gerade eben nicht? Aus Platzgründen können wir hier nur ein grobes Bild zeichnen. Hochstatus-Sprache zeichnet sich unter Anderem durch folgende Merkmale aus: Sie enthält konkrete, positive Formulierungen und vermeidet Konjunktiv- und Passivkonstruktionen sowie sprachliche Weichmacher ("vielleicht", "eventuell"). Sie steckt – zum Beispiel durch Rückbezug auf Werte – den Rahmen dessen ab, was in einer Situation als gültig erachtet wird oder werden sollte.

Natürlich wird Status auch über Redeanteil und –position bestimmt. Wer ausschweifend eine Geschichte erzählen darf, hat Hochstatus. Wer das erste und – vor allem – das letzte Wort hat, umso mehr. Ein Gesprächspartner im Hochstatus geniert sich nicht, Fragen zu stellen. Wer fragt, der führt die Interaktion – wenn denn geantwortet wird. Ein Mensch im Hochstatus scheut sich deshalb auch nicht, die Antwort zu verweigern, zum Beispiel Angela Merkel: "Diese Frage stellt sich für mich nicht!" Generell gilt: Prozess vor Inhalt. Wer Zeit, Ort und Ablauf der Interaktion bestimmt, hat Oberwasser. Wer diese Rolle nicht innehat, kann, zum Beispiel durch gezieltes Zuspätkommen, versuchen, sie zu erobern.

Hans-Ulrich Schachtner bietet in seinem Buch eine anschauliche Typologie für klassische Hochstatus-Haltungen. Es sind die drei "B’s": Beweger, Bewerter, Bewilliger. Der Beweger gibt – ganz im Sinne des vorigen Absatzes – den Rahmen vor. Er setzt Impulse und lenkt das Geschehen in seinem Sinne. Ist diese Position nicht einnehmbar, so bietet sich die des Bewerters: Dieser definiert Kriterien und erlaubt sich, qualifizierende Äußerungen über die Beiträge anderer zu machen ("Schmidt, Ihr Vorschlag ist gut, weil ..."). Wenn eine derartige Deutung akzeptiert wird, so hat der Bewerter den situativen Hochstatus inne. Ist dies ebenfalls nicht möglich, so bleibt die Position des Bewilligers: Wer nicht bestimmen oder validieren kann, hat immer noch die Möglichkeit, Einverständnis zu signalisieren. Die Botschaft lautet dann: Auch wenn ich nicht bestimmt habe, so läuft doch alles in meinem Sinne.

Der Matthäus-Effekt

Die bewusste Steuerung eigener Statussignale ist ein lohnenswertes Stück Veränderungsarbeit, vor allem für Menschen, die von Natur aus eher im Tiefstatus-Bereich zuhause sind. Hochstatus ist ein typisches Beispiel für den so genannten Matthäus-Effekt. "Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, dass er Fülle habe; wer aber nicht hat, von dem wird auch genommen, was er hat" – Mt 25,29. Hochstatus-Signale auszusenden setzt auf zwei Wegen einen sich selbst verstärkenden Prozess in Gang. 

Zum einen über die so genannte propriozeptive Rückmeldung. Das heißt, unsere Empfindungen wirken sich nicht nur auf unsere Körpersprache aus; auch der umgekehrte Weg funktioniert. Wir stehen aufrecht, weil wir uns sicher fühlen. Wir fühlen uns aber auch sicher, weil wir aufrecht stehen. Und zum anderen wird eine soziale Feedbackschleife initiiert: Wir senden Hochstatus-Signale, die uns helfen, ein gewünschtes Ziel zu erreichen, was dazu führt, dass wir selbstsicherer werden, was es in Zukunft erleichtert, Hochstatus einzunehmen.

Zum Schluss soll nochmals darauf hingewiesen werden, dass ein hoher situativer Status kein Selbstzweck per se ist. Wenn eine Person dauernd Signale des Hochstatus sendet, wird sie zwar den Respekt der Mitmenschen genießen und ihre Meinung durchsetzen können. Aber sie sollte sich nicht wundern, wenn sie am Ende allein auf weiter Flur steht; die Herzen werden ihr nicht zufliegen.

Als charismatisch empfunden werden jene Menschen, die in der Lage sind, leicht in verschiedene Statuspositionen zu schlüpfen. Tom Schmitt nennt sie "Status-Artisten". Sie passen sich geschickt der jeweiligen Situation an, um ihre Ziele zu erreichen. Mal hilft der große Auftritt (Hochstatus), mal ein wenig Selbstironie (Tiefstatus). Mal gehen sie in Führung (Hochstatus), woanders lassen sie sich führen (Tiefstatus; vorausgesetzt, es geht in die richtige Richtung). Mal hilft eine knackige Anweisung (Hochstatus), anderswo kommen sie mit einer Schmeichelei (Tiefstatus) weiter. In Reinkultur finden wir solche schnellen Statuswechsel zwischen zwei Menschen – einer Choreographie gleichend – bei der Anbahnung der schönsten Nebensache der Welt: einem gelungenen Flirt...

Weiterführende Literatur

  • Frans de Waal: Der Affe in uns: warum wir sind, wie wir sind. Hanser, München 2006.
  • Katja Dyckhoff, Thomas Westerhausen: Stimme: Instrument des Erfolgs mit Audio-CD. Walhalla, Regensburg 8 2007.
  • Johannes M. Lehner, Walter O. Ötsch: Jenseits der Hierarchie – Status im beruflichen Alltag aktiv gestalten. Wiley, Weinheim 2006.
  • Hans-Ulrich Schachtner: Frech, aber unwiderstehlich! Der Magische Kommunikations-Stil. Harmony Balance Edition, Agatharied 4 2009.
  • Tom Schmitt, Michael Esser: Status-Spiele – Wie ich in jeder Situation die Oberhand behalte. Scherz, Frankfurt a.M. 2009

Dieser Artikel erschien zuerst in "ks magazin", Jahrgang 19, Ausgabe Dezember.

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