Auswendig lernen – Schnell memorieren: Ein Plädoyer fürs Auswendiglernen

Autor*innen
Thomas Kahn
Person im Anzug fasst an ihr Anstecktuch. Der Kopf ist durch ein schematisch dargestelltes Gehirn ersetzt.

Professoren geben sich skeptisch, Kommilitonen belächeln es – für viele Studenten aber bleibt das Auswendiglernen weiter das Mittel der Wahl. Auf wessen Seite steht die Lernforschung in dieser Debatte und welche Mittel helfen dir, deine Lernleistung zu steigern?

Dem Klischee nach ist Auswendiglernen die bevorzugte Lernmethode der weniger Begabten. Gute Studenten lernen hingegen nicht auswendig, sie verstehen. So wird zum Beispiel Juristen empfohlen, den Sinn hinter gesetzlichen Regelungen nachzuvollziehen, anstatt sich mechanisch Fälle oder Prüfungsschemata in den Kopf zu prügeln. Auswendiglernen sei dann gar nicht mehr erforderlich, weil der Stoff auch so behalten oder in der Klausur hergeleitet werden könne.

Auswendiglernen ist besser als sein Ruf

Ganz falsch ist diese Kritik nicht: Da du nie den gesamten Stoff beispielsweise einer Jura- oder Medizinklausur auswendig beherrschen kannst, solltest du dir genau überlegen, was du auswendig lernst. Und natürlich musst du auch verstanden haben, an welcher Stelle das Gelernte in der Klausur relevant ist. Aber wenn du deshalb das Auswendiglernen als Feind des Verstehens betrachtest und ganz darauf verzichtest, entgehen dir einige beträchtliche Vorteile dieses Lernansatzes.

Denn egal, ob es sich um eine Definition handelt, ein Prüfungsschema oder die Lösung eines juristischen Sachverhalts: Du bist klar im Vorteil, wenn du die relevanten Informationen auswendig kennst. Erstens bist du schneller, wenn du eine Antwort aus dem Gedächtnis weißt, anstatt sie dir erst mühsam herzuleiten. Zweitens bist du sicherer, weil du über ein vertrautes Raster verfügst, in das du unbekannte Probleme leicht einsortieren kannst. Und drittens übersiehst du keine Schritte und vermeidest Aufbaufehler. Anders als Mike aus der Serie Suits wirst du zwar nie den gesamten Lernstoff im Wortlaut auswendig können. Trotzdem gilt: Je mehr du davon sicher beherrschst, desto besser für dich. Wenn du in deinen Prüfungen von diesen Vorteilen profitieren möchtest, musst du dir deshalb die Frage stellen: Wie lernt man am besten auswendig?

Mit dem Auswendiglernen gilt: Spaced Repetition est mater studiorum

Diese Frage kann die moderne Lernforschung inzwischen ziemlich genau beantworten. Wichtig hierfür sind zwei grundlegende Erkenntnisse über die Funktionsweise unseres Gedächtnisses:

Use it or lose it: Informationen, die nicht mehr gebraucht werden, verschwinden früher oder später wieder aus deinem Kopf. Um Wissen zu behalten, musst du es deshalb wiederholen: Ansonsten geht der Großteil der Informationen, die du dir so mühsam angeeignet hast, bis zur Prüfung wieder verloren.

Wiederholung ist nicht gleich Wiederholung: Wie sehr sich deine Mühe auszahlt, hängt stark von deiner Wiederholungsmethode ab. Denn die verschiedenen Wiederholungsmethoden sind längst nicht gleich effektiv. Zwei Faktoren, die einen besonders großen Einfluss auf die Wirksamkeit haben, sind der Spacing Effect und der Testing Effect.

  • Beim Spacing Effect geht es um das richtige Timing: Du hast mehr davon, wenn du eine Information in wachsenden Abständen wiederholst, als wenn du dich direkt am Anfang mehrmals hintereinander damit beschäftigst und dann längere Zeit gar nicht mehr. Um diesen Effekt voll auszureizen, wiederholst du eine Information immer erst kurz vor dem Moment, in dem du sie wieder vergisst.
  • Der Testing Effect betrifft hingegen die Frage, wie du wiederholen solltest: Es bringt mehr, wenn du dich selbst abfragst und versuchst, dich aktiv an die richtige Antwort zu erinnern, als wenn du den Stoff nur noch einmal passiv liest. Fun Fact: In Studien schätzen Testpersonen oft intuitiv das nochmalige Lesen als wirksamer ein. Die Ergebnisse dieser Studien belegen jedoch immer wieder die Überlegenheit des Sich-Abfragens. Übrigens: Sich selbst abzufragen ist auch effektiver, als den Stoff noch einmal in eigenen Worten zusammenzufassen. Die Wirksamkeit dieses Ansatzes wird leider oft überschätzt.

Auswendig lernen mit einer Spaced-Repetition-Software

So weit, so abstrakt. Aber wie setzt du diese Erkenntnisse nun in deinem Lernalltag um? Am einfachsten geht das mit sogenannten Spaced-Repetition-Programmen wie SuperMemo, Anki oder Mnemosyne. Diese Programme wurden dazu entwickelt, um die beiden genannten Effekte maximal auszunutzen und so deine Lernleistung zu steigern. Sie eignen sich nicht nur, um ambitionierten Juristen zum ersehnten Prädikat zu verhelfen. Anki wurde auch schon dazu genutzt, um in der populären US-Gameshow Jeopardy! zu gewinnen. Teilnehmer Roger Craig, der für seinen Auftritt mit Anki trainierte, hält bis heute den Rekord für den höchsten Tagesgewinn (77.000 US-Dollar). Auch Mediziner, BWLer und Studenten anderer Fächer sind daher gut beraten, den schlauen Karteikarten eine Chance zu geben.

Was kann die Lern-Software?

Mit Lernprogrammen simulierst du erstens eine Abfrage- beziehungsweise Prüfungssituation und machst dir somit den Testing Effect zunutze. Zweitens sind Anki und Co. anders als deine selbstgemalten Karteikarten smart und reizen den Spacing Effect maximal aus.

Wie funktioniert das Auswendiglernen mit Anki?

Anki ist zunächst einfach ein Karteikartenprogramm. Du gibst den Lernstoff dort als Frage- und Antwortpaare ein und wiederholst die so erstellten Karteikarten, indem du versuchst, die Fragen richtig zu beantworten. Durch die Simulation der Prüfungssituation nutzt du also den Testing Effect aus. Nach jeder Karte fragt dich Anki zusätzlich, wie gut du dich an die richtige Antwort erinnern konntest. Du hast die Wahl zwischen:

  1. Gar nicht.
  2. Noch gerade so, fiel mir aber schwer.
  3. Völlig okay. Weiter so!
  4. Super einfach, lass mich damit bloß erst mal in Ruhe!

Daraus berechnet Anki, wann du die Informationen auf der Karte wieder vergisst. Kurz vor diesem Moment fragt es dich dann wieder danach und rettet die Information so vor dem Vergessen. Dadurch nutzt du elegant den Spacing Effect aus, ohne selbst mühsam das optimale Wiederholungsdatum berechnen zu müssen. Anki zeigt dir immer nur die Karten, die du sonst wieder vergessen würdest; was du bereits sicherbeherrschst, wird nicht wiederholt. Das bedeutet für dich: Du kannst dir sicher sein, dass du alles Gelernte auch behältst, aber nur so viel Zeit mit dem Stoff verbringst wie unbedingt erforderlich. So wird deine Lernzeit optimal genutzt und du kannst der nächsten Klausur gelassen entgegenblicken.

Thomas Kahn ist Jurist und Autor der Lernapotheke für Juristen, einem E-Book, in dem er die Techniken beschreibt, mit denen er sich selbst erfolgreich auf das erste und zweite Staatsexamen vorbereitet hat. Er bietet außerdem eigene digitale Lernmaterialien für das Staatsexamen an – die Basiskarten Jura.

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