Gehirnfallen, Denkfehler, Verzerrungen: Denkste!
- Jan Fischer
Was hast du dir dabei nur gedacht? Ziemlichen Quatsch, wetten? Otto Durchschnittsdenker trifft nämlich fast nie objektive Entscheidungen. Das ist ganz normal, aber trotzdem vermeidbar. Hier sind die sieben häufigsten Denkfehler.
1. Bestätigungsfehler: Sei ehrlich zu dir selbst
Du hast dir das neue Album deiner Lieblingsband angehört. Endlich. Du kennst und liebst diese Band und singst schon den ganzen Tag ihre Lieder.
Abends spielst du deinem Freund Carl-Constantin das neue Album vor. Er erklärt kühl, deine Pop-Götter hätten schon mal bessere Musik gemacht.
Darf Carl-Constantin so etwas sagen? Besteht gar die Möglichkeit, dass er Recht hat? Niemals nicht! Sofort beginnst du, deinem Freund alle Rezensionen entgegenzuschleudern, die du auftreiben kannst. Auweh, und Glückwunsch! Du hast nicht nur einen fragwürdigen Musikgeschmack, sondern bist auch Opfer des Bestätigungsfehlers geworden.
Der Bestätigungsfehler ist ein weitverbreiteter Denkfehler. Dabei werden Informationen und Meinungen, die den eigenen Standpunkt bestätigen, höher bewertet als Gegeninformationen und -argumente. Oft nehmen Betroffene diese Gegeninformationen nicht einmal wahr.
So fallen bei wissenschaftlichen Arbeiten beispielsweise Forschungsergebnisse unter den Tisch, die der zentralen These der Arbeit widersprechen. Der Bestätigungsfehler vernebelt aber auch das Gehirn von Verschwörungstheoretikern, die jede Information so zurechtbiegen, dass sie ihrem Weltbild zuarbeitet (oder ihm zumindest nicht widerspricht).
Untersuchungen zum Bestätigungsfehler zeigen, dass Menschen dazu neigen, (potenzielle) Fehlentscheidungen nicht zu akzeptieren, sondern sie wegzuerklären. Wenn du den Bestätigungsfehler vermeiden willst, hilft nur, möglichst ehrlich zu dir zu sein. Und deine eigenen Argumente genauso kritisch zu prüfen wie die anderer. Wer weiß, vielleicht entwickelst du dich sogar zum Ärzte-Fan weiter?
2. Quantitativer Fehler: Zahlen nur unter Qualen
Nein, beim Discount-Klitschen-Bäcker möchtest du nicht mehr schuften. Erstens geben die Kunden dort nie Trinkgeld. Zweitens punktiert der Chef die ollen Brötchen von gestern jeden Morgen mit einem braunen Edding, um sie als "Körnerknacker" noch mal unters Volk zu bringen.
Aber kannst du deshalb gleich das Angebot der Edel-Gebäckmanufaktur annehmen? Zwar ist das neue Gehalt 13 Prozent höher, die Arbeitszeit 13 Prozent kürzer und der Weg zur Arbeitsstelle auch. Allerdings verlangt die Gebäckmanufaktur von dir, in der Mittagspause flüssiges Kokain in die Mini-Eclairs zu spritzen und Kindern heimlich Weinbrandbohnen zuzustecken. Damit die Kunden wiederkommen. Du schwankst. 13 Prozent hin, 13 Prozent her. Dann fällst du um. Du Narr.
Der quantitative Fehler bezeichnet die Tendenz, Entscheidungen ausschließlich auf der Basis von Zahlen und Statistiken zu treffen und sämtliche Faktoren zu ignorieren, die sich nicht quantifizieren lassen. Beim Blick auf die nüchternen Nummern musstest du den neuen Job annehmen.
Ob das mit deinem Gewissen vereinbar war? Egal: Schuldgefühle lassen sich schließlich nicht mit =SUMMEWENN addieren. Trotzdem: Deine Entscheidung war falsch. Kokain hat in glasiertem Brandmassengebäck so wenig verloren wie schokolierte Spirituosen in Kindermündern. Asche auf dein Haupt, Gebäckmanufaktur! Und Asche auch auf dich, du Zahlenhuber!
Den quantitativen Fehler begehen übrigens auch Unternehmen, die versuchen, sich allein auf der Basis von Kennzahlen gesundzustoßen. Dabei geht es nämlich oft zu wie in dem alten Witz: Wenn eine Freu neun Monate braucht, um ein Kind auszutragen, sollten es neun Frauen ja wohl in einem Monat schaffen.
Natürlich sind Zahlen wichtig, um gute Entscheidungen zu treffen. Moral, Gefühl und Vernunft darfst du deswegen aber nicht ausschalten.
3. Wunschdenken: Keep it real
Auf einem Wochenendausflug ragt plötzlich ein alter Bauernhof vor euch auf; ein schiefes "Zu verkaufen"-Schild davor. Teuer ist er nicht, und du hast dir etwas auf die Seite gelegt. Sofort springt dein Kopfkinoprojektor an: Du siehst dich, wie du das alte Dach ausbesserst, bei Sonnenaufgang den Acker bestellst, und überhaupt: Du wolltest schon immer aufs Land, mit eigenen Kühen und einem Pferd, das Rantantan heißt. Diesen verschimmelten Bauernhof zu kaufen, ist die beste Entscheidung deines Lebens, das weißt du plötzlich felsenfest. Oder auch nicht.
Eine Entscheidung auf der Basis von Wunschdenken zu treffen, also auf das bestmögliche Ergebnis zu vertrauen, ist fast immer ein Fehler. Seien wir ehrlich: Du weißt nicht, wie man Pferde hält; wie es um die Gegend infrastrukturell bestellt ist; ob es möglich ist, von dieser Bruchbude zu leben; geschweige denn, wie man eigentlich ein Dach deckt. All das spielt in deinem Wunschdenken natürlich keine Rolle, das wirst du schon irgendwie schaffen, zumal sich das Ergebnis in deinem Kopf schon festgesetzt hat. So wird es werden und nicht anders! Das spürst du tief in dir, irgendwo links von der Milz. Relax, don't do it.
Bei Untersuchungen hat sich zwar gezeigt, dass ein gesunder Optimismus zu vorteilhafteren Entscheidungen verhilft; gerade vor riskanten Entschlüssen ist es aber unbedingt ratsam, sich ebenso intensiv mit den möglichen Nachteilen zu beschäftigen. Rantantan kann warten.
4. Analyse-Paralyse: Zu viel nachdenken kann blockieren
Blöd bist du nicht. Sogar klug genug, zu wissen, dass eine wichtige Entscheidung immer auf ein solides Fundament gestellt werden muss. Also beginnst du, zu recherchieren. Du findest Zahlen und Fakten, lässt aber auch deine Emotionen nicht außer Acht. Bald kennst du die Pros und Kontras auswendig. Du planst und analysierst.
Und schlussendlich? Kannst du dich nicht entscheiden. Zu viele Möglichkeiten, zu wenig Gewissheit.
Die Analyse-Paralyse (engl.: analysis paralysis) ist ein Phänomen, das auftritt, wenn zu viele Informationen vorhanden sind. Es wird so exzessiv geplant und analysiert, dass schließlich jeder Schachzug aus einem bestimmten Blickwinkel richtig erscheint. Beziehungsweise falsch.
Ein Klassiker: Ein Team wird darauf angesetzt, das Für und Wider eines Großprojekts zu analysieren; ein Ansatz führt zum nächsten. Irgendwann favorisiert jeder eine andere Lösung, und das Projekt wird nie begonnen. Aber auch Liebhaber anspruchsvoller Brettspiele kennen analysis paralysis zur Genüge. Und nerven ihre Mitspieler, weil sie immer so lange für ihren Zug brauchen.
Die Lösung? Liefert auch ein Brettspiel: Schach. Das Spiel der Könige kennt gerade in der Mitte eines Matches unendlich viele Zugmöglichkeiten. In Wettkämpfen gibt es allerdings auch immer eine Stoppuhr, die Spieler zur Entscheidung zwingt. Sorgfältige Analyse ist eine Kunst – erst ein Zeitlimit verwandelt sie in ein Meisterwerk.
5. Survivorship Bias: Einmaliger Erfolg beweist nichts
Erfolgreiche Menschen haben Erfolg. Du willst auch Erfolg haben. Also tust du, was erfolgreiche Menschen getan haben, bevor sie Erfolg hatten.
Wenn Mark Zuckerberg mit Facebook Milliarden scheffelt, muss auch deine e-fellows.net community durchstarten, oder? Wenn du trainierst wie Lukas Podolski, spielst du auch bald in der Nationalmannschaft! Zwar kennst du weder Mark noch Lukas persönlich, das macht aber nichts. Das Internet ist voller Tipps, wie man auf den Pfaden der Großen wandelt.
Es ist nicht verkehrt, sich Ratschläge zu holen. Das Problem des Survivorship Bias, der hier beschrieben wird, ist: Es kommen nur die Erfolgreichen, die "Überlebenden", zu Wort. Die im Dunkeln sieht man nicht. Dabei sind die Gescheiterten in der Überzahl. Und haben vielleicht Interessanteres zu erzählen.
Vielleicht war Facebook so erfolgreich, weil die Zeit reif war für ein soziales Netzwerk? Vielleicht hatte Zuckerberg einfach Glück? Für jedes erfolgreiche Start-up gehen Dutzende pleite, obwohl sie über ausreichend Kapital verfügen sind und ein gutes Produkt verkaufen. Hunderte von Faktoren spielen mit.
Fest steht: Erfolge erzeugen Sichtbarkeit. Daher neigen wir dazu, die Aussicht auf Erfolg zu überschätzen; besonders bei Strategien, mit denen schon einmal jemand erfolgreich war. Aber nur weil Bill Gates, Richard Branson und Mark Zuckerberg ihre Ausbildung abgebrochen haben und Milliardäre geworden sind, wirst du kein Milliardär, nur weil du deine Ausbildung abbrichst.
6. Verfügbarkeitsfehler: Hinterfrag deine Wahrnehmung
Schnell, frag dich, ob wir in friedlichen oder kriegerischen Zeiten leben. Hungern mehr oder weniger Menschen als in den letzten Jahrzehnten? Wie ist es mit sauberem Wasser, Medikamenten? Haben mehr oder weniger Menschen Zugang dazu als früher?
Statistisch bewiesen ist: Die Zahl der Menschen, die Opfer von Terrorismus werden, nimmt konstant ab. Es werden immer weniger Kriege geführt. Den Menschen auf der Welt geht es, im Großen und Ganzen betrachtet, besser als je zuvor.
Aber was ist mit den Nachrichten? Ständig wird über Terrorismus, Krieg, Hunger und Durst berichtet! Willkommen in der Welt des Verfügbarkeitsfehlers.
Unsere Welt ist friedlicher als je zuvor, es wird aber auch ausführlicher darüber berichtet, was auf ihr passiert. Die Wahrscheinlichkeit, dass du ein Verbrechen oder einen Terroranschlag überhaupt mitbekommst, ist heute höher, als sie es jemals war. Das führt zu einer verzerrten Wahrnehmung: Du glaubst, die Welt trudle dem Abgrund entgegen, obwohl die Statistik (fast) das Gegenteil beweist.
Unsere Entscheidungen und Wahrnehmungen werden vor allem davon beeinflusst, über welche Informationen wir verfügen. Woran sollen wir uns sonst auch orientieren? Wir neigen deshalb dazu, zu überschätzen, wie wichtig diejenigen Informationen sind, die uns schnell präsent sind. Und das sind fast immer, erraten, schlechte Neuigkeiten.
Das Resultat? Falsche Entscheidungen nach Bauchgefühl. Grund: verzerrte Wahrnehmung. Was dagegen hilft? Harte Zahlen, Fakten und ausreichender Abstand.
7. Gruppendenken: Schlechte Entscheidungen durch Anpassung
Man sollte meinen, dass viele kompetente Menschen, die gemeinsam über ein Problem nachdenken, auch zu einem besseren Ergebnis kommen als einer dieser Menschen allein. Untersuchungen zeigen allerdings, dass das nicht immer so ist.
Gruppendenken bewirkt, dass eine Gruppe mitunter schlechte(re) Entscheidungen trifft, weil die einzelnen Mitglieder sich an die Meinungen der anderen anpassen, statt einen Konflikt zu suchen.
Das kann sich für Unternehmen oder sogar ganze Gesellschaften zum Problem entwickeln. Aber auch bei Entscheidungen auf persönlicher Ebene kann Gruppendenken eine Rolle spielen: Denn Entscheidungen werden nicht im luftleeren Raum getroffen, auch das Umfeld spielt eine Rolle: Seien es Freunde, Familie oder Mitarbeiter. Im schlimmsten Fall kann Gruppendenken dazu führen, dass ein einzelnes Mitglied den allgemeinen Konsens sogar dann mitträgt, wenn es sich damit selbst Schaden zufügt.
Es ist wichtig, dir die Dynamiken und Folgen von Gruppendenken bewusst zu machen, bevor du eine Entscheidung triffst. Konflikt um des Konfliktes willen ist zwar auch keine gute Idee. Aber eine Entscheidung einzig und alleine zu treffen, um die Harmonie innerhalb einer Gruppe nicht zu stören, genauso wenig.