KI-Spezialisierung im Studium: "Alle sollten sich mit Daten beschäftigen"
- Bastian Bieker
Wie kann ich mich schon im Studium auf KI spezialisieren? Und wie finde ich später einen Job? Der Informatik-Professor Kristian Kersting beantwortet die wichtigsten Fragen.
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Herr Kersting, von Januar bis April wurden laut Index Research, einer Agentur für Personalthemen, rund 44.000 Stellen für KI-Spezialist:innen ausgeschrieben. In welchen Bereichen suchen Unternehmen gerade besonders?
Lange waren Data-Scientists, Entwickler:innen oder Ingenieur:innen mit dem Schwerpunkt maschinelles Lernen besonders gefragt. Inzwischen schreiben Unternehmen eher Stellen im Bereich der generativen KI aus. Das heißt, die Expert:innen sollen sich damit beschäftigen, wie KI-Systeme wie ChatGPT oder Stable Diffusion in den Unternehmen angewendet werden können. Die Nachfrage ist über alle Branchen hinweg da, Pharma, Biochemie, Medizin oder in der Landwirtschaft. Eigentlich gibt es niemanden, der in Zukunft auf künstliche Intelligenz verzichten möchte.
Kristian Kersting 49, ist Professor für Informatik und Leiter des Artificial Intelligence and Machine Learning Lab an der TU Darmstadt sowie Co-Direktor des Hessischen Zentrums für Künstliche Intelligenz.
Was sollte ich studieren, wenn ich später in diesem Bereich arbeiten möchte?
Zu den Mindestanforderungen gehört es, Code lesen und verstehen zu können. Die meisten Firmen arbeiten mit Python. Viele, die später etwas mit KI machen wollen, haben klassisch Informatik studiert, Machine-Learning oder Data-Science, manche auch Mathematik oder Physik.
Nehmen wir an, ich habe im Bachelor Philosophie studiert, kann ich dann zum Beispiel einen Master in KI an der TU Darmstadt machen?
Das ist von Uni zu Uni unterschiedlich. In Darmstadt ist das eher nicht möglich, weil man entsprechende Vorkenntnisse braucht. Idealerweise hat man im Bachelor bereits den Begriff Artificial Intelligence gehört. Ich kann mir dann zum Beispiel ein Modul suchen, das die Philosophie mit künstlicher Intelligenz verbindet. An der TU Darmstadt bieten wir die Vorlesung "Cognitive Science II" an, darin geht es um die Art, wie Menschen denken. In der Vorlesung "Einführung in die KI" diskutieren wir über das menschliche Gehirn als Paradebeispiel eines intelligenten Systems.
Brauche ich zwingend einen Masterabschluss?
Nein, ITler:innen sind so gefragt, dass man schon nach dem Bachelor einen guten Job finden kann. Ich würde aber immer dazu raten, noch einen Master dranzuhängen. Mit der Masterarbeit kann man sich zum Beispiel schon gezielt bei Unternehmen in der freien Wirtschaft bewerben. Ein relevantes Thema wie "Tiefes Lernen für die bildbasierte Krebserkennung" ist aus meiner Sicht sogar wichtiger als die Gesamtnote.
Kann es sich lohnen, danach noch zu promovieren?
Auf jeden Fall. Man bekommt damit die Möglichkeit, sich vier bis fünf Jahre lang komplett auf die Forschung konzentrieren zu können. Dabei wird man in der Regel nach Tarif bezahlt, das sind mindestens 48.000 Euro brutto pro Jahr. Bei uns an der TU Darmstadt sind die Doktorand:innen oft so gefragt, dass sich Unternehmen direkt bei mir melden, um sie anzuwerben. Besonders wenn jemand im Ausland arbeiten möchte, kann eine Promotion sinnvoll sein, weil KI natürlich auch ein internationales Thema ist. Außerdem qualifiziert man sich mit einer Promotion in der Regel später auch für Führungspositionen und verdient mehr.
Das Gehalt bei KI-Expert:innen wie Data-Scientists liegt laut Jobportal "get in IT" im Schnitt zwischen 57.000 und 67.000 Euro brutto im Jahr. Ist das realistisch?
Wenn man mit einem Doktortitel einsteigt, vielleicht. Nach dem Bachelor sind es eher zwischen 44.000 und 52.000 Euro brutto im Jahr und nach einem Master zwischen 48.000 und 57.000 Euro. In den USA liegen die Einstiegsgehälter bei bis zu 150.000 US-Dollar, dort sind aber auch die Lebenshaltungskosten höher.
Kann auch ein Quereinstieg gelingen?
Ja, aber ganz ohne Zusatzqualifikationen dürfte es schwierig werden. Man kann zum Beispiel Weiterbildungsangebote wie Coursera, Udacity oder den KI-Campus nutzen. Auch wenn das keine formalen Studienleistungen sind, kann man dem potenziellen Arbeitgeber damit zeigen: Ich verstehe was von Daten.
Sowohl im Bachelor als auch im Master sollte man Praktika absolvieren. Nach welchen Kriterien sollte ich diese auswählen?
Ich rate meinen Studierenden immer dazu, möglichst viel auszuprobieren. Jede:r sollte sich fragen: Was macht mir besonders Spaß? Und was eher nicht? Dabei ist es egal, ob man ein Praktikum macht oder eine Werkstudierendenstelle annimmt. Man kann entweder in ein großes Unternehmen gehen wie Continental, Siemens, Bosch oder Lufthansa, die KI-Abteilungen mit großen Budgets haben. Dort kann man zum Beispiel lernen, wie künstliche Intelligenz im Kundenservice genutzt wird oder wie Flugpläne neu organisiert werden. Die Alternative sind Start-ups. Oft sind Teams dort kleiner und agiler, Hierarchien flacher, man kann also mehr machen und sich individuell entwickeln.
Viele gehen davon aus, dass KI in fünf Jahren aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken sein wird. Wo sehen Sie am meisten Potenzial?
Ich glaube, das Wichtigste werden die Brückenköpfe sein, das heißt, die Leute, die sich mit KI und Physik, KI und Kognitionswissenschaft, KI und Jura, KI und Medizin auskennen. In Zukunft wird es für jede:n zum Alltag gehören, sich mit Daten auseinanderzusetzen. Dafür ist ein Grundverständnis wichtig, egal was man studiert.
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