Leistungsdruck im Studium: Warum der Stress?

Autor*innen
Max Wetterauer
Eine Figur mit Menschenkörper und Vogelkopf sprintet mit Ordnern unter dem Arm. Die rechte Hand ist triumphierend zur Faust geballt.

Die Leistungsgesellschaft macht auch vor Hochschulen nicht Halt: Inzwischen leidet jeder sechste Student unter psychischen Problemen, zumeist hervorgerufen durch Dauerbelastung und Leistungsdruck. Welche Fächer besonders betroffen sind, und wie du dem Hamsterrad entkommst, verrät ein Psychologe.

Die deutsche Hochschullandschaft präsentiert sich gerne wie ein Hochglanzkatalog: exzellente Lehre, exzellente Jobchancen, exzellente Kommilitonen. Alles funkelt, alles strahlt, und (fast) alles umsonst. Die dunklen Seiten finden sich erst im Beiheft aus Billigpapier, das ganz hinten im Katalog steckt: Da ist die Rede von verzweifelten Studenten, denen jedes Semester wie ein Hürdenlauf vorkommt: Klausur, hopp! Hausarbeit, hopp! Praktikum, hopp! Wer die Hürde reißt, fällt zurück, verliert den Anschluss.

Dass nicht jeder Läufer die Kraft hat, wieder aufzustehen, beweisen unter anderem Zahlen von Krankenkassen: Demnach leidet jeder sechste Student unter psychischen Problemen, Tendenz steigend. Gerade in der Klausurenphase macht sich das bemerkbar: Dann reiht sich auf den Schreibtischen der Lernsklaven alles, wo Koffein draufsteht. Was ist schon etwas Herzflattern gegen eine vernünftige Note? Inzwischen greift jeder fünfte Student zu konzentrationsfördernden Mitteln wie etwa Ritalin.

Leistungsdruck, Depression und Burn-out können ebenso zum Gesamtpaket Studium gehören wie Exzellenzinitiative und Semesterticket.

"Ich hatte nie Semesterferien"

Auch in der Community von e-fellows.net spielt Leistungsdruck eine wichtige Rolle. "Während meines Bachelors hatte ich nie Semesterferien, da ich entweder Pflichtpraktika machen oder Klausuren nachholen musste", schreibt ein e-fellow. "Wir hatten über das Semester verteilt Klausuren und zum Ende des Semesters dann nochmal eine zweiwöchige Klausurenphase mit bis zu acht Prüfungen. Ich hätte lieber vier statt drei Jahre studiert. Dann hätte ich auch Zeit gehabt, über den Stoff nachzudenken, und hätte nicht nur Bulimielernen betrieben. Auf die Idee bin ich im Hamsterrad leider nicht gekommen."

Ein anderer e-fellow erinnert sich an seine juristischen Einführungsveranstaltungen: "Ein Professor sagte uns, wir sollen uns unseren linken und rechten Nachbarn genau anschauen. Am Ende des Studiums sei mindestens einer von ihnen nicht mehr dabei."

Solche Erfahrungen verändern nicht nur, wie wir ein Studium heute begreifen, sondern haben auch Einfluss auf den Gesundheitszustand der Studenten, wie Frank Hofmann von der Psychosozialen Beratungsstelle für Studierende des Studierendenwerks Heidelberg bestätigt: "Schätzungsweise 75 Prozent der Studenten, die uns aufsuchen, leiden unter Problemen der Stressbewältigung oder sind aufgrund der Arbeitsbelastung völlig erschöpft."

Leistungsdruck ist (k)eine Frage des Fachs

"Leistungsdruck betrifft zuerst die klassischen Prestigefächer und solche mit einem extrem hohen Numerus clausus, also Mediziner und Juristen, aber auch Psychologen", erklärt mir Frank Hofmann. "Der Selektionseffekt des NC sorgt dafür, dass eher leistungsmotivierte Schüler die Plätze dieser Fächer füllen."

Eine Umfrage in der e-fellows.net-community hat ergeben, dass 22 Prozent der Studenten über 60 Stunden pro Woche in ihr Studium investieren. Davon war zumindest der Autor dieser Zeilen meilenweit entfernt, denn ich studierte kein klassisches Lernfach mit Jobgarantie. Ich studierte Geschichte. Hat mich mein Fach vor dem Burn-out geschützt?

"In den Geisteswissenschaften sind solche Probleme zwar seltener, aber das heißt nicht, dass nicht auch ein Ethnologe unter enormem Druck stehen kann. Das familiäre Umfeld kann beispielsweise großen Einfluss ausüben: Wenn aus deiner Familie seit fünf Generationen erfolgreiche Juristen hervorgehen, dann sind die Erwartungen vom ersten Semester an sehr hoch. Studenten aus vormals bildungsfernen Schichten wiederum werden teilweise als Hoffnungsträger für die ganze Familie betrachtet."

"Schlechte Leistung ist kein Zeichen von Schwäche"

Während sich Familien in anderen Ländern in die Schuldenfalle stürzen müssen, um ihren Kindern einen Hochschulabschluss zu ermöglichen, beschweren wir uns über Leistungs- und Erwartungsdruck. Das mag nach einem Luxusproblem klingen, aber die Folgen für die Betroffenen sind echt – und alarmierend.

"Leistungsdruck ist ein zutiefst subjektiv empfundenes Leid", erklärt mir Frank Hofmann. Das mache es für andere, die nicht davon betroffen seien, schwer nachvollziehbar. "Das liegt daran, dass wir unser Selbstwertgefühl für gewöhnlich aus unseren Freunden, Familie oder Partnerschaften ziehen sowie aus unseren Hobbies und Leistungen", erklärt der Psycholge. "Eine lange Klausurenphase kann dazu führen, dass wir unseren Selbstwert nur noch an unsere Leistungen koppeln. Bei (gefühlten) Misserfolgen stellen wir uns dann gleich in Gänze in Frage."

Er rät den Betroffenen, ihre Leistungsansprüche kritisch zu hinterfragen: "Eine schlechte Leistung ist kein Zeichen von Schwäche, sondern lässt sich auch mit einem schlechten Tag oder unfairen Aufgaben erklären."

Handlungsbedarf bei den Hochschulen

Die Klage nach unverhältnismäßigen Anforderungen spielt den Ball zu guter Letzt wieder in Richtung der Hochschulen. Denn zumindest ein Teil des Problems liegt in überambitionierten Studienordnungen – und in veralteten Lehrmethoden, wie ein e-fellow bemerkt: "Die größten Stressimpulse kamen bei mir durch die Lehre zustande: In den Vorlesungen sollten wir schreiben, zuhören und mitdenken gleichzeitig. Das Wissen wurde in der Prüfung wie von einer Datenbank abgefragt."

Das Problem ist auch den Hochschulen bekannt, wie ein e-fellow berichtet: "Es war irgendwann auffällig geworden, dass in meinem Studiengang so viele die psychologische Beratungsstelle aufsuchten. Sie fragten daraufhin bei unserer Fakultät nach. Das hat aber auch nichts geändert."

Neben einer Überarbeitung der Studienordnungen könnten alternative Lernkonzepte, wie zum Beispiel Flipped Classrooms, helfen, auf unterschiedliche Lerngeschwindigkeiten Rücksicht zu nehmen.

Hofmann rät den Betroffenen außerdem, Leistungsideale nicht ohne weiteres zu übernehmen. Manchmal helfe gegen perfektionistische Ansprüche eine Klärung der tatsächlichen Anforderung. Gerade wenn sich (innerer oder äußerer) Leistungsdruck aber in psychischer Belastung oder gar Krankheit niederschlage, stehe die Entscheidung an, ob das eigene Wohlbefinden neben Leistung nicht auch ein wichtiger Wert sein sollte.

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