Erfahrungsbericht – LL.M.: Law School der Vrije Universiteit
- Jonas Spitra
Durch das LL.M. Studium an der Law School der Vrije Universiteit hat sich Jonas nicht nur mit Gesetzestexten auseinandergesetzt, sondern auch einiges über die holländische Kultur gelernt. So avancierte Amsterdam zu einer einer Lieblingsstädte.
Verschlafene Grachten und Hausboote, urige Cafés und hochherrschaftliche, jahrhundertealte Patrizierfassaden auf der einen Seite. Futuristische Architektur, pulsierendes Kunst- und Nachtleben auf der anderen Seite. An einem solchen Ort studieren zu können, war für mich ein wesentlicher Grund, einen LL.M. in Amsterdam zu beginnen. Dass die Law School der Vrije Universiteit in einer der lebenswertesten Metropolen weltweit zudem für mein Interessenfeld einen exzellenten Ruf genießt, war der andere ausschlaggebende Faktor.
"Komm, wir fahren nach Amsterdam …" – Warum die Niederlande?
Nach einem längeren Arbeitsaufenthalt in Asien und meinem Studium in Deutschland und England war für mich klar, dass ich weitere Auslandserfahrung sammeln und zudem mein völkerrechtliches Wissen in einem LL.M.-Aufbaustudium vertiefen wollte. Da ich bereits in England studiert hatte, wollte ich allerdings einen Tapetenwechsel und in einem anderen europäischen Land Erfahrungen sammeln. Mein Fokus liegt auf dem Wechselspiel der internationalen Beziehungen und des Völkerrechts, und ich suchte ein Programm, in dem ich diese Fragestellungen vertiefen konnte. Am Ende entschied ich mich für den Studiengang "Law and Politics of International Security" in Amsterdam. Es thematisiert die Herausforderungen, die der technische Fortschritt, neue Sicherheitsbedrohungen und der Wandel von Konflikten an das Völkerrecht und die internationalen Beziehungen stellen.
Das Programm ist multidisziplinär ausgerichtet und eines der wenigen mit dieser Spezialisierung in Europa. Allerdings ist das Programm relativ klein. Es gilt als der selektivste Studiengang der Law School und nimmt jedes Jahr nur eine bestimmte Anzahl von Studierenden auf. Gleichzeitig ist der LL.M. ein internationaler Schmelztiegel. Neben vielen holländischen Studierenden habe ich mit Kommiliton:innen aus Amerika, Asien und allen Teilen Europas studiert. Die unterschiedlichen kulturellen Blickwinkel auf völkerrechtliche und politische Fragestellungen waren dabei für mich eine große Bereicherung.
Vorbereitung und Kosten
Ich habe etwa ein Jahr vor meiner Bewerbung mit dem Zusammenstellen aller Unterlagen begonnen. Die Bewerbungsfrist ist für EU-Bürger zwar der 1. Juni, aber die Chancen auf einen Studienplatz und ein Stipendium der Uni sind höher, je früher man sich bewirbt. Durch die frühe Zusage hatte ich genügend Zeit, Wohnung und Finanzierung zu organisieren und mich mit meinen eigenen Erwartungen auseinanderzusetzen. Die Studiengebühren sind in den Niederlanden im Vergleich zu den USA und Großbritannien ein Schnäppchen (derzeit 2.000 Euro). Die Lebenshaltungskosten ähneln aber meiner Meinung nach denjenigen in Großbritannien (etwa 10.000 Euro).
Ich kann jedem nur raten, zu versuchen, seine Finanzierung auf verschiedene Säulen zu stützen. Wenn es mit einem Stipendium dann leider nicht klappt, kann man trotzdem guten Gewissens seinen LL.M. planen. Ich persönlich habe mir das Studium mithilfe einer Mischung aus Studienkredit und Stipendien sowie einer Anstellung am Lehrstuhl finanziert. Wichtig bei einem Job in den Niederlanden ist zu wissen, dass eine Auslandskrankenversicherung nicht ausreicht und man sich bei einer holländischen Versicherung versichern muss. Aufgrund dieser Kosten sollte man genau durchrechnen, ob es sich überhaupt lohnt, Niedriglohnjobs anzunehmen.
Eine Wohnung in Amsterdam ist oftmals eine teure Angelegenheit. Gewohnt habe ich daher in einem Wohnheim. Das war kostengünstiger, frühzeitig aus dem Ausland zu organisieren und in Uni-Nähe.
Studieren in Amsterdam: Büffeln, Praxis, Fahrrad fahren
Der Studiengang besteht aus vier verpflichtenden sowie aus mindestens zwei Wahlpflichtmodulen und ist in Trimester gegliedert. Das Besondere dabei ist die multidisziplinäre Ausrichtung des Programms, da argumentiert wird, dass die Fragen und Probleme des Völkerrechts nicht ohne eine vertiefte Kenntnis der internationalen Beziehungen (und vice versa) verstanden werden können. Dieses Wechselspiel verschiedener Ansätze und theoretischer "Sprachen" ist am Anfang sehr herausfordernd, hilft aber nach einiger Eingewöhnungszeit, viele Probleme wesentlich fundierter zu durchdringen.
Trotz des kompakten und vordefinierten Programms besteht die Möglichkeit, Module aus anderen Studiengängen zusätzlich zu absolvieren und weitere ECTS-Punkte zu sammeln. Wer sich also engagiert, kann extrem viel aus der Studienzeit herausholen. So habe ich zum Beispiel zusätzliche Kurse über Kriminologie und internationales Strafrecht absolviert.
Ein großer Vorteil Amsterdams ist zudem das nahe Den Haag, mit all seinen internationalen Gerichtshöfen, Think Tanks und Institutionen. Dies hat sich theoretisch wie praktisch stark in meinem Studium niedergeschlagen. So hatte ich z.B. die Möglichkeit, von einem ehemaligen Ermittler des Internationalen Strafgerichtshofes für Ruanda unterrichtet zu werden, in einer trinationalen Law Clinic (New York/Rom/Amsterdam) für einen Menschenrechtsanwalt zu arbeiten, und ich habe mit Kommiliton:innen eine Konferenz für das niederländische Außenministerium organisiert.
Die Abfolge der Essays und Prüfungen habe ich als straff organisiert wahrgenommen. Ähnlich war es auch mit der "supervision" der Abschlussarbeit, deren Intensität sehr abhängig vom jeweiligen Betreuer beziehungsweise von der jeweiligen Betreuerin ist. Hier ist es ratsam, frühzeitig gezielt eine:n Betreuer:in zu suchen.
Bei aller Intensität des Studiums blieb genug Zeit für jede Menge Freizeitaktivitäten – und das ging natürlich nur mit einem guten Hollandrad. Über das Jahr führte mich mein Fahrrad durch das Amsterdamer Kulturleben, in zahlreiche niederländische Städte sowie immer wieder zum Verkosten des riesigen holländisch-belgischen Bierangebots.
Fazit eines intensiven Jahres
Meine Entscheidung für Amsterdam bereue ich in keinerlei Hinsicht und kann das Programm allen, die sich für multidisziplinäre Fragen des Völkerrechts und internationaler Sicherheit interessieren, nur empfehlen. In dem Jahr habe ich sowohl fachlich als auch über die holländische Kultur viel gelernt. Amsterdam ist zu einer meiner absoluten Lieblingsstädte avanciert. Bis heute fahre ich regelmäßig dorthin, um Freund:innen zu besuchen. Allerdings ohne mein Hollandrad. Das parkt als Erinnerung vor meiner Haustür in Deutschland.
Der Autor steht bei Fragen gerne zur Verfügung:
Jonas Spitra - joruspi@gmx.net