Recruiting: Wie Sie den Charakter von Bewerbern richtig testen

Autor*innen
Martin Puppatz
Eine Frau steigt eine Treppe hoch, die zu einer Lupe führt welche von einer großen Hand vom Boden aus nach oben gehalten wird

Bei Charakteranalysen für die Personalauswahl unterlaufen Unternehmen oft schwerwiegende Fehler. Wie es besser funktioniert, beschreibt unser Gastautor.

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Der durch die Digitalisierung getriebene Wandel und veränderte Ansprüche jüngerer Generationen sorgen dafür, dass der Mensch mit seiner individuellen Persönlichkeit stärker denn je im Mittelpunkt steht. Daher werden Unternehmen erfolgreich sein, die eine Arbeitsumgebung schaffen, in der die Persönlichkeit von Mitarbeitern optimal zu ihren Aufgaben passt. Viele Unternehmen haben das bereits verstanden, so zum Beispiel Hypoport. Das S-Dax-Unternehmen entwickelt Technologieplattformen für die Finanzwirtschaft und gilt als digitaler Vorreiter. Im Recruiting legt Hypoport viel Wert auf die Persönlichkeit der Bewerber und nutzt ein entsprechendes Testverfahren, um sicherzustellen, dass die Voraussetzungen zur Führung agiler Teams vorhanden sind.

Die Ergebnisse nutzt Hypoport, um einen besseren Fit zwischen Mitarbeitern und Positionen herzustellen und die Führungsqualität zu erhöhen. Hypoport befindet sich damit in guter Gesellschaft von bekannten Namen wie Siemens, Otto oder Ikea und gehört damit zu den etwa 70 Prozent der deutschen Unternehmen, die Persönlichkeitstests in der Personalarbeit nutzen. Der gute Wille scheint also vorhanden – wie so oft hapert es jedoch in der Praxis an der Umsetzung.

Mottenkiste der Diagnostik

Immer wieder fallen dieselben zwei Kardinalfehler auf. So müssen Persönlichkeitstests präzise und belastbare Aussagen liefern. Dies können nur wissenschaftlich fundierte Instrumente leisten, doch werden solche selten eingesetzt. Stattdessen überwiegen amateurhafte Verfahren aus dem Bereich der Pseudopsychologie. So nutzen viele Unternehmen nach wie vor Tests, die die Menschen in Farbtypen einsortieren. Derlei Modelle spielen in der modernen Psychologie seit Jahrzehnten keine Rolle mehr. Das Testergebnis ist stark von der Tagesform und damit vom Zufall abhängig, die Aussagekraft ist also extrem begrenzt. Zudem stellen sie die Persönlichkeit grob vereinfacht dar und führen zu einer starken Stereotypisierung.

Unternehmen, die immer noch auf derartige Tests aus der Mottenkiste der Diagnostik setzen, schaden sich gleich dreifach. Erstens erhalten sie weitgehend wertlose Ergebnisse. Zweitens fördern sie Schubladendenken statt Individualität und Diversität. Und drittens beschädigen sie ihre Marke als Arbeitgeber. Denn Bewerber, die schon in der Personalauswahl unprofessionellen Verfahren begegnen, fragen sich unweigerlich, wie es dann wohl im Rest des Unternehmens aussehen mag.

Will man einen echten Nutzen aus der Persönlichkeitsdiagnostik ziehen, sollte man stattdessen Verfahren nutzen, die auf den sogenannten Big Five basieren. Die Big Five gelten seit über 20 Jahren als der Goldstandard in der Persönlichkeitsforschung und ermöglichen exakte und äußerst differenzierte Persönlichkeitsprofile, die – ähnlich einem Fingerabdruck – der Individualität des Einzelnen in sehr hohem Maße gerecht werden.

Aussagekräftiges Feedback hilft allen

Von ähnlich bescheidener Qualität wie viele der Tests sind häufig auch die begleitenden Prozesse. Im Recruiting werden Bewerber oft über den Zweck der Verfahren im Unklaren gelassen und erhalten keine vernünftige Rückmeldung zu ihren Ergebnissen. Die Folge: Die Kandidaten fühlen sich "durchleuchtet" und argwöhnen, dass der Arbeitgeber sich einen unfairen Wissensvorsprung verschafft hat. Entscheidend ist hier das Herstellen von Transparenz und Augenhöhe. Arbeitgeber sollten in der Kommunikation glaubhaft vermitteln: "Wir interessieren uns wirklich für dich und möchten dich - mithilfe des Tests - richtig gut kennenlernen!" Erhalten die Kandidaten dazu noch ein aussagekräftiges Feedback zu ihren Ergebnissen, werden sie den Auswahlprozess als wertschätzend und das Testerlebnis als persönlichen Mehrwert erleben.

In der Personalentwicklung hingegen werden Mitarbeiter mit den Testergebnissen oft sich selbst überlassen, offenbar in der Hoffnung, dass diese daraus schon "irgendwie etwas machen" werden. Der gewünschte Effekt verpufft damit weitgehend, die erhoffte Weiterentwicklung wird mit hoher Wahrscheinlichkeit ausbleiben. Stattdessen sollte der Persönlichkeitstest gezielt in weiterführende, auf den Ergebnissen aufbauende Maßnahmen eingebunden werden, etwa in Einzelcoachings oder als Teil eines Programms für die Entwicklung von Führungskräften.

Martin Puppatz ist Professor für Wirtschaftspsychologie an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management.

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