Famulatur in Japan: Gastroenterologie und Kirschblüten

Autor*innen
Xuan Vinh Nguyen
Diagramm eines Magens, vor dem zwei Personen stehen. Eine Frau blickt auf ein Clipboard, und ein Mann im weißen Kittel trägt eine riesige Lupe.

e-fellow Vinh erlebte bei seiner Auslandsfamulatur nicht nur, wie gastfreundlich Japaner sind. Dank seines engagierten Mentors erhielt er neben den Lektionen in Medizin auch noch Unterricht in japanischer Sprache und Kultur. Und er fand heraus, warum das deutsche Wort "Magendurchleuchtung" auch in Japan eine gebräuchliche Vokabel in Medizinerkreisen ist.

Japan – allein der Name löst bei Medizinstudenten viele Assoziationen aus: Hashimoto-Thyroiditis, gastrointestinale Tumoren und die fortgeschrittene Endoskopie, für die die japanische Medizin bekannt ist. So ging es auch mir, als ich überlegte, im Sommer 2010 eine Famulatur in Japan zu absolvieren. Nicht nur von der akademischen Seite, sondern auch von der kulturellen, versprach ich mir interessante Erfahrungen.

Vinh (25) studiert am Universitätsklinikum Münster Medizin. Seine Auslandsfamulatur verbrachte er an der Dokkyo Medical University in Mibu, Japan.

Dank der guten Verbindung zwischen der medizinischen Fakultät der Uni Münster und der Dokkyo Medical University im japanischen Mibu gestaltete sich die Organisation meiner vierwöchigen Famulatur recht unkompliziert. Vor Ort traf ich auch andere Studenten, die sich teilweise selbst oder über internationale Programme beworben hatten.
 
Die Gastroenterologie hatte ich mir ausgesucht, weil die japanische Medizin angeblich gerade auf diesem Feld besonders fortgeschritten sein sollte. Da ich bis dato auch verschiedene Veranstaltungen der Studienstiftung des Deutschen Volkes zum Thema Onkologie mit großem Interesse besucht hatte, wollte ich herauszufinden, wie man in Japan entsprechende Erkrankungen diagnostiziert und behandelt.
 
Zwischen Zusage und Beginn der Famulatur lag ungefähr ein halbes Jahr - nicht genug Zeit, um Japanisch zu lernen. Ich hätte gerne einen Sprachkurs belegt, aber leider war zum Zeitpunkt der Zusage die Frist am Sprachenzentrum bereits abgelaufen. Deshalb ließ ich mir von einer guten Freundin zumindest die wichtigsten Phrasen beibringen. 

Die ersten Eindrücke

Nach ungefähr neun Stunden Flug erreichte ich Narita mit einer Zeitdifferenz von sieben Stunden. Wir hatten ein Hotel direkt neben dem Flughafen gebucht, um uns dort schlafenderweise mit der japanischen Zeit zu synchronisieren. Am nächsten Tag fuhr ich mit dem Bus in die Nähe von Mibu. Dort holte mich Professor Ando, einer der Koordinatoren des Internationalen Programms, zusammen mit einem anderen Studenten ab. Der Professor lud uns zu einem typischen japanischen Essen ein, was uns gleich Gelegenheit gab, uns mit vielen japanischen Gepflogenheiten vertraut zu machen. Professor Ando erklärte uns die 12 verschiedenen Gänge, die allesamt aufwändig zubereitet und dekoriert waren, und zeigte uns, wie man sie richtig verspeiste.
 
Mein erster Eindruck von Japan war, dass alle Menschen unglaublich freundlich und höflich waren. Ich bin schon viel gereist, aber ich muss sagen, dass ich mich bisher in keinem Land auf Anhieb so wohl, willkommen und sicher fühlte, wie bei meiner Ankunft in Japan. Darüber hinaus war alles bestens organisiert, am Flughafen waren alle Schilder und Hinweise auch auf Englisch vorhanden und beim Personal fand sich immer jemand, der gut genug Englisch sprach.

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Japanische Gastfreundschaft und Gründlichkeit

Mit der medizinischen Fakultät stand ich im Vorfeld in engem E-Mail-Kontakt. So wusste ich schon eine Woche vor meinem Abflug, dass ich abgeholt werden würde und hatte auch bereits einen Stundenplan bekommen – typische japanische Gastfreundschaft und Gründlichkeit.
 
Untergebracht wurden wir ausländischen Studenten in richtigen Appartements in der Nähe des Krankenhauses. Üblicherweise stehen diese den Gastprofessoren oder -ärzten zur Verfügung. Wir konnten dort für die Dauer unseres Aufenthalts für umgerechnet 10 Euro pro Tag wirklich luxuriös wohnen. Von einigen Studenten vor Ort bekamen wir eine kurze Stadtführung und auch Fahrräder, mit denen wir für den Rest der Zeit mobil waren.

Allein unter Ärzten

Leider war es aber so, dass wir genau in der ersten Ferienwoche der japanischen Studenten ankamen. Für den Rest unseres Aufenthalts sollten wir fast keinen Studenten mehr begegnen, da sich die meisten entweder in ihren Heimatstädten aufhielten oder im Ausland waren. So schade die Abwesenheit der Studenten auch war, für mich sollte sie sich im Laufe meines Aufenthalts als Vorteil erweisen. Denn ich war nun weit und breit der einzige Student in der Abteilung und alle Ärzte hatten entsprechend viel Muße, sich um mich zu kümmern.

Rundumbetreuung durch den Mentor

Schon vor der Famulatur wurde mir ein Mentor zugewiesen, mit dem ich bereits im Vorfeld Kontakt hatte: Assistant Professor Akihito Tajima, M.D., Ph.D. Professor Tajima hatte drei Jahre an der University of California, San Diego geforscht und sprach wirklich gutes Englisch – was für mich die Kommunikation sehr einfach machte. Zunächst hielt ich ihn wirklich nur für einen Mentor im herkömmlichen Sinn. Ich dachte, er sei für die grobe Planung meines Aufenthalts zuständig und ich könnte bei Problemen oder Fragen zu ihm gehen.
 
Wie sich aber recht bald herausstellte, nahm er seine Aufgabe sehr ernst, die er selbst sinngemäß so beschrieb: Dafür zu sorgen, dass ich die bestmöglichste Ausbildung in der zur Verfügung stehenden kurzen Zeit nicht nur in der Inneren Medizin im Allgemeinen und der Gastroenterologie im Speziellen bekommen sollte, sondern darüber hinaus auch umfangreiche Kenntnisse der japanischen Sprache, Kultur und Geschichte. Für die gesamte Dauer meines Aufenthalts stellte er seine eigene Arbeit zurück und verbrachte wirklich jede einzelne Minute im Krankenhaus mit mir, wofür ich unglaublich dankbar bin.

Lektionen in Medizin, Sprache und Kultur

Professor Tajima hatte ein ausgefeiltes Curriculum erarbeitet, dass alle Bereiche der Gastroenterologie abdeckte. Die Vormittage verbrachten wir abwechselnd entweder in der Sonographie, Endoskopie, Angiographie, auf der regulären oder auch Intensivstation, während wir die Nachmittage vorwiegend dazu nutzten, Theorie, inklusive kleiner Klausuren, zu besprechen. Falls wir mit einem medizinischen Thema durch waren, gab es wahlweise Lektionen in japanischer Sprache, Kultur und Geschichte. Hier konnte ich ihm wenigstens einen kleinen Teil zurückgeben und ein wenig über Deutschland berichten, was zu angeregten Diskussionen führte.
 
In Japan haben Studenten in der Regel keinen Patientenkontakt, selbstverständlich galt das für mich als nicht-japanisch sprechenden Ausländer auch. Professor Tajima übersetzte immer alles für mich, auch gegenüber den anderen Ärzten. Diese konnten zwar alle Englisch, aber in der Regel doch eher gebrochen. Laut Professor Tajima liegt das vor allem daran, dass das Erlernen der japanischen Sprache und Schrift während der Schulzeit so viel Zeit in Anspruch nimmt, dass für Fremdsprachen nicht mehr allzu viel Zeit bleibt.
 
Von den 35 Ärzten der Gastroenterologie konnten ungefähr vier oder fünf flüssig Englisch sprechen. Dies stellte aber kein Problem dar, da ich ja praktisch nie ohne Professor Tajima unterwegs war. Er bestand aber auch darauf, dass ich so viel Japanisch sprach, wie ich konnte, und so war ich dank des ständigen Trainings bald in der Lage, die wichtigsten 100 Sätze zu sagen und mich auch einigermaßen autark zu verständigen, was mir nicht nur oft strahlendes Lächeln vonseiten der Japaner einbrachte, sondern mir auch in meiner Freizeitgestaltung und der anschließenden Rundreise wirklich sehr zugutekam.

Magendurchleuchtung auf Japanisch

Einige Medizinstudenten belegen während ihres Studiums auch Deutsch als Fremdsprache. Die Deutsch-Japanische Verbindung ist gerade in der Medizin sehr alt. Denn die japanische Schulmedizin ist von deutschen Ärzten mit gegründet worden, was die Japaner bis heute nicht vergessen haben. So finden sich im klinischen Alltag einige deutsche Vokabeln, wie zum Beispiel "Magendurchleuchtung", oder "Hb" für Hämoglobin.
 
Auch der Chefarzt war sehr bemüht, mich in das Team einzubinden und mich an allen Konferenzen teilhaben zu lassen. Alle Visiten und Konferenzen fanden auf Englisch statt, damit ich mich beteiligen konnte. Am Anfang taten sich besonders einige Assistenzärzte damit schwer, aber nach zwei Wochen hatten sich alle daran und auch an mich gewöhnt. Bald wurde ich von den anfangs recht schüchternen Ärzten auch angesprochen und eingeladen.

Verbeugungen in der Ambulanz

Freitags hatte Professor Tajima "outpatient duty", verrichtete seinen Dienst also in der Ambulanz. Ich durfte dabei sein, was sehr interessant war, weil ich viele verschiedene gastroenterologische Patienten sehen konnte. Gewöhnlich besprachen wir den Zustand der Patienten, nachdem sie gegangen waren, um diese nicht in Verlegenheit zu bringen.
 
Interessant war, wie Arzt und Patient miteinander umgehen: Mit allerhöchsten Respekt. Beide Seiten verbeugten sich stets mehrfach und Professor Tajima nahm sich immer die Zeit, seinen Patienten alles genau zu erklären. Sie bekamen nicht nur die Befunde mit, sondern auch von ihm selbst verfasste Erklärungen zu dem jeweiligen Krankheitsbild mit entsprechenden Interpretationsanleitungen zum Beispiel der Laborwerte. Das fand ich höchst beeindruckend!

Jeder Patient ein Fallbeispiel

Selbst hier wusste er mich sinnvoll einzuspannen, denn aus jedem(!) Patienten machte er für mich ein Fallbeispiel und ließ mich Diagnosen und Therapien ausarbeiten. Wusste ich eine Antwort nicht, konnte ich sicher sein, dass er mich die kommenden Tage immer wieder darauf prüfen würde. So war ich auch abends immer gut beschäftigt. In den vier Wochen an der Dokkyo Medical University habe ich dadurch unglaublich viel gelernt.
 
Fasziniert haben mich außerdem nicht nur die äußerst fortschrittliche Technik (überall gab es große Flachbildschirme mit Touchscreen und Laptops), sondern auch die Therapien der Japaner, wie zum Beispiel das endoskopische Operieren von Magenkarzinomen. In der Endoskopie gibt es einen Raum, in dem sich an der Wand Monitore befinden, die alle Eingriffe gleichzeitig zeigen. Hier konnte man an betriebsamen Tagen bis zu 12 Endoskopien gleichzeitig sehen – ein Paradies für jemanden, der sich mit der Materie auseinandersetzen möchte. Professor Tajima erklärte mir stets, was es mit dem Bild auf sich hatte, sodass ich in kurzer Zeit für mein Level relativ sicher wurde in der Beurteilung von endoskopischen Befunden.

Fazit

Ich wurde während meines Aufenthalts unglaublich gut betreut – ich hätte mir nicht mal erträumt, einen so ausgezeichneten und engagierten Lehrer wie Professor Tajima zu bekommen, der nicht nur medizinisch, sondern auch menschlich ein Vorbild für mich darstellt. Darüber hinaus war die ganze Abteilung bemüht, mir den Aufenthalt so angenehmen und lehrreich wie möglich zu gestalten. Stets wurde ich angerufen, wenn es etwas Interessantes zu sehen gab, und das auch über die eigentliche Arbeit hinaus. Auch in der Freizeit war ich exzellent versorgt, wurde immer wieder zum Essen oder zu Ausflügen eingeladen.
 
Der Aufenthalt hat mich nicht nur akademisch viel weiter gebracht. Ich habe einen authentischen Einblick in die japanische Kultur bekommen und nun ein viel differenzierteres Bild von diesem interessanten Volk. Ich kann jedem Studenten, dem sich die Gelegenheit bietet, nach Japan zu gehen, nur raten, dies auch wahrzunehmen. Es war mit Abstand die beste Famulatur, die ich gemacht habe; ganz abgesehen davon ist Japan als Land einfach so atemberaubend schön und die Menschen so freundlich und zuvorkommend – meine nächste Japanreise ist schon in Planung!

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